White Collar Crime – die neuesten Vorschriften und ihre Auswirkungen (Teil 2)

Im Folgenden werden die für die Praxis der Wirtschaftskriminalität relevanten regulatorischen Entwicklungen aufgeführt, die in der letzten Zeit verabschiedet wurden und nun in Kraft treten bzw. bereits in Kraft getreten sind. Gleichzeitig weisen wir auf die Herausforderungen hin, die das Jahr 2023 mit sich bringen wird.

Änderung des Gesetzes über die Haftung kollektiver Rechtsträger im Bereich von Umweltstraftaten

Mit dem Gesetz vom 22. Juli 2022 zur Änderung bestimmter Gesetze zur Verhütung von Umweltkriminalität, das am 1. September 2022 in Kraft getreten ist, wurde das Gesetz vom 28. Oktober 2002 über die Verantwortung sog. kollektiver Rechtsträger (d.h. juristischer Personen sowie Organisationseinheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit, denen gesonderte Vorschriften Rechtsfähigkeit zuerkennen) für Straftaten geändert. Die Änderung ist insofern von Bedeutung, als das Erfordernis einer vorherigen Verurteilung natürlicher Personen im Falle von Umweltdelikten aus den Voraussetzungen für die Haftung eines kollektiven Rechtsträgers gestrichen wird.

Dies bedeutet, dass bei Umweltdelikten Verfahren gegen einen kollektiven Rechtsträger (z. B. ein Unternehmen) unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Einzelperson, an deren Handlung das Verfahren gegen den kollektiven Rechtsträger geknüpft ist, eingeleitet, geführt und abgeschlossen werden können. Diese Änderung gilt nur für Umweltstraftaten, obwohl bereits an einem Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Haftung kollektiver Rechtsträger gearbeitet wird, der dieses Erfordernis auch für andere Straftaten aufheben soll.

Das Sanktionsgesetz

Am 16. April 2022 ist das Gesetz über Sonderlösungen zur Bekämpfung der Unterstützung der Aggression gegen die Ukraine und zum Schutz der nationalen Sicherheit in Kraft getreten. Die Bestimmungen des Gesetzes verweisen direkt auf Rechtsakte der EU und die darin vorgesehenen Verpflichtungen und Verbote. Das Gesetz sieht unter anderem das Einfrieren von Finanzmitteln und wirtschaftlichen Ressourcen vor, die sich im Besitz, Eigentum oder in der tatsächlichen Verfügungsgewalt von Personen befinden, die in der vom Innenminister geführten Liste aufgeführt sind, und verbietet die wissentliche und vorsätzliche Beteiligung an Aktivitäten, die eine direkte oder indirekte Umgehung der genannten Maßnahmen bezwecken oder bewirken. Die Nichteinhaltung der durch das Gesetz auferlegten Pflichten wird geahndet mit

  • Geldbußen von bis zu 20.000.000 PLN und
  • bei Verstößen gegen Verbote, die sich aus EU-Vorschriften ergeben, sogar strafrechtlichen Sanktionen.

Sanktionierte Einrichtungen wurden außerdem von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen, und für Kohle aus der Russischen Föderation oder Weißrussland gilt ein Einfuhr- und Transportverbot in bzw. durch das Gebiet der Republik Polen.

Unternehmer, die mit potenziell sanktionierten Unternehmen Handel betreiben, müssen die vom Innenministerium und von der Europäischen Union geführte Sanktionsliste sorgfältig überwachen und das genannte Gesetz bei der so genannten Sanktionsprüfung ihrer Geschäftspartner berücksichtigen.

Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde und polnischen Finanzdienstleistungsaufsicht für Compliance Officer

Am 14. Juni 2022 veröffentlichte die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA ihre Leitlinien für Strategien und Verfahren in Bezug auf das Compliance-Management und die Rolle und Zuständigkeiten des AML/CFT-Compliance-Beauftragten, die auf Grundlage von Artikel 8 und Kapitel VI der Richtlinie (EU) 2015/849 erlassen wurden und am 1. Dezember 2022 in Kraft getreten sind.  

Im Gegenzug veröffentlichte die polnische Finanzdienstleistungsaufsicht (poln. Komisja Nadzoru Finansowego, kurz „KNF) am 1. Dezember 2022 in ihrem Positionspapier zu AMLRO (Anti Money Laundering Reporting Officer) ebenfalls ihre Leitlinien, die die oben erwähnten EBA-Leitlinien berücksichtigen. In dem Positionspapier der KNF wird Folgendes erläutert und klargestellt:

  • die Rolle des Leitungsorgans im AML/CFT-Prozess (oder der für die Einhaltung der AML/CFT-Vorschriften verantwortlichen leitenden Angestellten)
  • die Rolle der mit der Aufsicht betrauten Stelle im AML/CFT-Prozess
  • Aufgaben und Rolle des für AML/CFT zuständigen Mitglieds des Leitungsorgans oder der Geschäftsleitung
  • die Rolle und die Verantwortlichkeiten der AMLRO
  • das Verhältnis zwischen der AML/CFT-Funktion und anderen Organisationseinheiten des beaufsichtigten Unternehmens
  • Delegation betrieblicher Aufgaben an Dritte
  • Organisation des AML/CFT-Prozesses auf Gruppenebene

Der Standpunkt der KNF richtet sich an die durch sie beaufsichtigten Unternehmen (z. B. Maklerhäuser, Investmentfondsgesellschaften, Banken) und sollte unverzüglich umgesetzt werden.

Obwohl die Wirksamkeit der Leitlinie auf beaufsichtigte Unternehmen beschränkt ist, kann sie als Quelle für bewährte Praktiken dienen, die auch von anderen Instituten angewandt werden, die nicht der Aufsicht der KNF unterliegen. Es ist zu erwarten, dass andere Institutionen, die die Anwendung der AML-Vorschriften überwachen, z. B. der Generalinspektor für Finanzinformationen (poln. Generalny Inspektor Informacji Finansowych) oder die polnische Nationalbank NBP, sich auf den oben genannten Standpunkt stützen und die Bestimmungen des AML-Gesetzes unter Berücksichtigung seines Inhalts auslegen werden.

Welche Herausforderungen stellen sich 2023? Das Gesetz über die Haftung kollektiver Rechtsträger für Straftaten

Am 2. September 2022 wurde ein Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Haftung kollektiver Rechtsträger für Straftaten auf der Website des Gesetzgebungszentrums der Regierung veröffentlicht. Dies ist ein weiterer Versuch, die Regeln für die Haftung nach diesem Gesetz zu ändern. Frühere Versuche, das Gesetz zu ändern oder sogar das bestehende Gesetz durch eine neue Fassung zu ersetzen, waren erfolglos. Nun sind die vorgeschlagenen Änderungen jedoch nicht so weitreichend, was die endgültige Verabschiedung des Gesetzes erleichtern könnte.

Zur Verdeutlichung – das Gesetz über die Haftung kollektiver Einrichtungen für Straftaten vom 28. Oktober 2002 definiert die Grundsätze der quasi-strafrechtlichen Haftung kollektiver Rechtsträger, d.h. z.B. handelsrechtlicher Gesellschaften für Straftaten, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit begangen wurden. Die so genannte präjudizielle Bedingung, die in den früheren Verordnungen vorgesehen war (das Erfordernis, dass die Straftat, die die Grundlage für die quasi strafrechtliche Haftung eines kollektiven Rechtsträgers bildet, in einem Strafverfahren gegen eine Einzelperson rechtskräftig festgestellt wird), machte das Gesetz praktisch unwirksam.

Die wichtigsten Änderungen des Gesetzes über die Haftung kollektive Rechtsträger:

  • Ausschluss von kleinen und mittleren Unternehmen aus dem Geltungsbereich des Gesetzes
  • Wegfall der Voraussetzung einer strafrechtlichen Verurteilung einer natürlichen Person (präjudizielle Bedingung) – Verfahren zur kollektiven Haftung kollektiver Rechtsträger können unabhängig von Strafverfahren gegen die Täter – natürliche Personen – geführt werden
  • Änderungen der Voraussetzungen für die Haftung und Beziehung zu den Personen, die die Straftat begangen haben. Ein kollektiver Rechtsträger wird haftbar gemacht:
    • bei Begehung einer Straftat durch ein Organ des kollektiven Rechtsträgers (z. B. den Vorstand), wenn die Tat in direktem Zusammenhang mit den von dem kollektiven Rechtsträgers ausgeübten Tätigkeiten steht
    • wenn die Straftat von anderen Personen als einem Organ begangen wird, die mit der Organisation in Verbindung stehen, z. B. von Mitgliedern der Geschäftsführung, von Personen, die vertretungsbefugt sind aber auch von Personen, die bei dem Rechtsträger beschäftigt sind
  • Voraussetzung für die Haftung für die Handlung einer Person, die keinem Organ des kollektiven Rechtsträgers angehört, ist ein Verschulden des Rechtsträgers bei der Auswahl der Person, die die Straftat begeht, ein Verschulden bei der Beaufsichtigung dieser Person oder ein organisatorisches Verschulden, das darin besteht, dass eine Unregelmäßigkeit in der Organisation des Rechtsträgers vorliegt, die die Begehung der Straftat erleichtert oder ermöglicht hat.
  • Eine Unregelmäßigkeit in der Organisation des Rechtsträgers kann unter anderem darin bestehen, dass die Zuständigkeiten der Organe, Einheiten oder Mitarbeiter nicht festgelegt wurden oder dass beispielsweise keine Person oder Einheit benannt wurde, die die Einhaltung der für die Tätigkeit des kollektiven Rechtsträgersgeltenden Regeln und Grundsätze überwacht (z. B. eine Compliance- oder interne Kontrollstelle).

Nach den vorgeschlagenen Änderungen wird ein kollektiver Rechtsträger nicht haftbar gemacht, wenn er trotz des Vorliegens von Unregelmäßigkeiten den Nachweis erbringt, dass alle Organe und Personen, die befugt sind, in seinem Namen oder in seinem Interesse zu handeln, die unter den gegebenen Umständen erforderliche Sorgfalt haben walten lassen.

Die Beweislast hierfür liegt bei dem Rechtsträger. Es ist daher von grundlegender Bedeutung , über ein solides und durchdachtes Compliance-Systems zu verfügen. Von der wirksamen Einhaltung dieses Systems und seiner Umsetzung hängt es ab, ob ein kollektiver Rechtsträger trotz einer Straftat innerhalb seiner Struktur letztlich nicht haftbar gemacht werden kann. Es wird auch die Relevanz interner Ermittlungen erhöhen, die dazu beitragen können, eine Straftat noch vor ihrer Offenlegung nach außen (z. B. durch Meldung eines Whistleblowers) zu erkennen, und es dem Rehctsträger ermöglichen, eine Selbstanzeige zu erstatten, was sich auch auf seine Haftung auswirken wird.

Der Entwurf befindet sich derzeit in der Arbeitsphase im Gesetzgebungszentrum der Regierung.

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