Die neuen Änderungen im Gesellschaftsrecht: Holding, Aufsichtsrat und Business Judgement Rule – TEIL I

Am 13. Oktober 2022 tritt in Polen die weitgehende Reform des Gesellschafts- und Konzernrechts in Kraft. Essenz der Gesetzesnovelle ist die Einführung neuer Regelungen in das bisher lediglich rudimentäre Holdingrecht, die Stärkung der Position von Aufsichtsräten sowie die Einführung der sog. Business Judgement Rule. Die Reform ist insbesondere für ausländische Konzernobergesellschaften wichtig, da die neuen Regelungen unmittelbar auf sie Anwendung finden können. Der folgende Beitrag ist nicht erschöpfend und stellt nur die wichtigsten Aspekte der umfangreichen Reform dar.

Konzernrecht – ein Rückblick

Bisher gibt es im polnischen Handelsgesellschaftsgesetzbuch (HGGB) lediglich Regelungen zum Vertragskonzern (Art. 7 HGGB), die in der Praxis jedoch kaum Anwendung gefunden haben. Nach einem vergeblichen Versuch in den Jahren 2009/2010 das Konzernrecht zu reformieren, ist es nun 2022 gelungen, einen neuen Gesetzesentwurf zu verabschieden, der am 13. Oktober 2022 in Kraft tritt und konzern- sowie gesellschaftsrechtlichen Änderungen enthält.

Der Konzernbegriff

Die Gesetzesnovelle hebt den bisher geltenden Art. 7 HGGB zum Vertragskonzern auf und führt den neuen Begriff der Gesellschaftsgruppe sowie das im Gesetz nicht näher definierte Gruppeninteresse ein. Da die neuen Regelungen gleichsam GmbH, die sog. einfache AG sowie die AG betreffen, werden im Folgenden für alle drei Gesellschaftsarten die Begriffe Gesellschafter / Gesellschafterversammlung / Geschäftsführung verwendet.

Die Gesellschaftsgruppe wurde im Gesetzentwurf wie folgt legaldefiniert: Eine Gesellschaftsgruppe besteht aus einer herrschenden und einer oder mehreren beherrschten Kapitalgesellschaften, die gemäß dem Beschluss über die Teilnahme an der Gruppe zwecks Realisierung eines gemeinsamen Interesses eine gemeinsame Strategie verfolgen (Gruppeninteresse), die die Ausübung einer einheitlichen Leitung der abhängigen Gesellschaften durch die herrschende Gesellschaft rechtfertigt.

An einem Konzern können lediglich Kapitalgesellschaften beteiligt sein. Zu diesen zählen in Polen die Aktiengesellschaft (Spółka Akcyjna), die Einfache Aktiengesellschaft (Prosta Spółka Akcyjna) und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Spółka z ograniczoną odpowiedzialnością). Anders als in Österreich, der Schweiz und Deutschland ist die KGaA in Polen keine Kapitalgesellschaft.

Wichtig ist, dass die Vorschriften nur auf abhängige Gesellschaften Anwendung finden, deren jeweiliger Sitz sich in Polen befindet. In welchem Land die Muttergesellschaft ihren Sitz hat, spielt keine Rolle, sodass die konzernrechtlichen Vorschriften auch für ausländische herrschende Gesellschaften relevant werden.
Keine Anwendung finden die konzernrechtlichen Regelungen auf abhängige Gesellschaften, die auf einem regulierten Markt oder in einem multilateralen Handelssystem zugelassen sind.

Das „Must“ – der Gesellschafterbeschluss

Für das Vorliegen eines Konzerns im Sinne der neuen Vorschriften reicht es nicht aus, dass eine rein tatsächliche Verbindung zwischen den Gesellschaften besteht, notwendig ist die Fassung eines Gesellschafterbeschlusses durch die Gesellschafterversammlung der beherrschten Gesellschaft. Der Beschluss über die Teilnahme an der Gruppe hat die herrschende Gesellschaft zu benennen und ist mit einer ¾-Stimmenmehrheit der Gesellschafterversammlung zu fassen. Der Abschluss eines Unternehmensvertrags ist für die Entstehung eines Konzerns nicht notwendig. Noch nicht ganz geklärt ist die Frage, ob auch die herrschende Gesellschaft einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss fassen muss, hiervon sollte jedoch ausgegangen werden.

Im Zusammenhang mit dem Gesellschafterbeschluss leuchtet problematisch auf, dass die konzernrechtlichen Vorschriften bei Fehlen eines Beschlusses trotz des gegebenen Abhängigkeitsverhältnisses nicht anwendbar sind.

Eintragung im Handelsregister

Die Teilnahme an der Gruppe ist grundsätzliche durch die herrschende und beherrschte Gesellschaft deklaratorisch im Handelsregister zu veröffentlichen. Eine Ausnahme gilt für ausländische Obergesellschaften, die keine Eintragung ins polnische Register vornehmen können. Hier reicht die Eintragung durch die beherrschte Gesellschaft aus.

Verbindliche Weisungen „von oben“

Wichtiges Novum ist die Möglichkeit der Erteilung verbindlicher Weisungen durch die herrschende Gesellschaft an mittelbar und unmittelbar beherrschte Gruppengesellschaften, sofern das Gruppeninteresse dies rechtfertigt und keine gesetzlichen Regelungen entgegenstehen.

Die neuen Vorschriften enthalten detaillierte Regelungen über die Erteilung von Weisungen, wie etwa die Tatsache, dass sie zu ihrer Wirksamkeit in elektronischer oder Schriftform erteilt werden müssen.

Außerdem sieht das Gesetz einen Mindestinhalt für Weisungen vor: (1) das von der abhängigen Gesellschaft erwartete Verhalten im Zusammenhang mit der Ausführung der Weisung (2) die Bezeichnung des Konzerninteresses (3) Nutzen oder Schäden, die bei der abhängigen Gesellschaft auftreten können (4) Art und Frist für eine eventuelle Schadensbehebung durch die herrschende Gesellschaft.

Die Ausführung der verbindlichen Weisung bedarf eines vorherigen Beschlusses der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft und kann unter anderem dann verweigert werden, wenn die Ausführung zur Zahlungsunfähigkeit oder drohenden Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen würde.

Kann eine Weisung widerrufen werden?

Die polnischen Vorschriften enthalten keine ausdrücklichen Regelungen zum Widerruf von Weisungen, es ist jedoch davon auszugehen, dass Weisungen sowohl vor als auch nach ihrer Annahme durch die beherrschte Gesellschaft widerrufen werden können.

Können Organmitglieder wie Geschäftsführer für die Ausführung von Weisungen haften?

Nein, die Haftung von Geschäftsführern und anderen Organmitgliedern der beherrschten Gesellschaft für Schäden, die durch die Ausführung verbindlicher Weisungen entstehen, schließt das Gesetz grundsätzlich aus. Eine Ausnahme dürfte allerdings dann anzunehmen sein, wenn ein Ablehnungsgrund für die Weisung wie etwa die drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt.

Ein Haftungsausschluss sollte auch für Organe der Obergesellschaft gelten, wenn sie bei Weisungserteilung im Konzerninteresse gehandelt haben.

Informationsrecht der herrschenden Gesellschaft

Wichtiges Kontrollinstrument der herrschenden Gesellschaft ist das Informationsrecht, das ersterer gestattet, jederzeit Einsicht in Bücher und Unterlagen der Tochtergesellschaft zu verlangen. Der Tochtergesellschaft steht an dieser Stelle kein Auskunftsverweigerungsrecht zu.

Wer kontrolliert die Umsetzung des Konzerninteresses?

Die Einhaltung der Weisungen und die Umsetzung des Konzerninteresses gestehen die neuen Vorschriften des HGGB dem Aufsichtsrat der herrschenden Gesellschaft – und in Ermangelung eines solchen z.B. bei einer GmbH – dem Vorstand zu. Der Aufsichtsrat kann im Rahmen seiner Befugnisse von der Tochtergesellschaft Einsicht in Unterlagen und Bücher verlangen und dieses Recht gegebenenfalls sogar gerichtlich durchsetzen.

Squeeze-out und Sell-out als Minderheitenschutz vor der Konzernierung

Zum Schutz von Minderheitsaktionären sehen die Vorschriften u.a. die Möglichkeit eines sog. Sell-outs vor, d.h. Minderheitsgesellschafter mit weniger als 10% der Anteile bzw. Aktien der beherrschten Gesellschaft können unter bestimmten Voraussetzungen den Aufkauf ihrer Anteile durch die herrschende Gesellschaft verlangen.

Gleichzeitig besteht umgekehrt die Möglichkeit eines sog. Squeeze-outs, d.h. dass die herrschende Gesellschaft einen Beschluss über den zwangsweisen Abkauf von Anteilen von Gesellschaftern mit weniger als 10% der Anteile erzwingen kann, wenn sie mindestens 90% des Stammkapitals der beherrschten Gesellschaft hält.

Wenn die verbindliche Weisung einen Schaden verursacht – Haftungsfragen

Für den Fall, dass die Ausführung einer Weisung einen Schaden der abhängigen Gesellschaft verursacht hat, der nicht innerhalb der in der Weisung genannten Frist ersetzt wurde, sehen die neuen Vorschriften eine verschuldensabhängige Haftung der herrschenden Gesellschaft gegenüber der Tochter vor. Handelt es sich bei dieser um eine Einpersonen-Gesellschaft, so entsteht die Schadensersatzpflicht nur dann, wenn die Weisung zur Zahlungsunfähigkeit geführt hat.

Zudem steht Minderheitsgesellschaftern der abhängigen Gesellschaft ein Schadensersatzanspruch zu, wenn ihre Anteile einen Wertverlust erlitten haben. Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass die herrschende Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar über eine Stimmenmehrheit verfügt, die es ihr ermöglicht, einen Beschluss über die Konzernangehörigkeit und einen Satzungsänderungsbeschluss zu fassen.

Letztendlich können auch Gläubiger der abhängigen Gesellschaft, die erfolglos versucht haben, gegen die Tochtergesellschaft vorzugehen und denen ein Schaden infolge der Ausführung der Weisung entstanden ist, ihren Anspruch direkt gegen die Muttergesellschaft geltend machen.

>> TEIL II

Link zum Änderungsgesetz (PL) USTAWA z dnia 9 lutego 2022 r. o zmianie ustawy – Kodeks spółek handlowych oraz niektórych innych ustaw (sejm.gov.pl)