Urteil: Haftung von Gmbh-Geschäftsführern für Gesellschaftsschulden
In einem kürzlich ergangenen Urteil hat das polnische Verfassungsgericht ehemaligen Geschäftsführern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (poln. Sp. z o.o.) in einem Streit über die Haftung für Gesellschaftsschulden Recht gegeben.
Welche Folgen könnte dieses Urteil für die Gläubiger der Gesellschaft sowie ehemalige Geschäftsführer der Gesellschaft haben?
Kann ein Gläubiger eine Schuld gegenüber einer GmbH nicht vollstrecken, so kann er sie unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber ihrem derzeitigen oder ehemaligen Geschäftsführer geltend machen. Voraussetzung ist, dass die Schulden der Gesellschaft bereits während der Ausübung des Geschäftsführeramtes bestanden. Ist dies nicht der Fall, kann der Geschäftsführer nicht haftbar gemacht werden. Wie sich herausstellt, ist die Angelegenheit jedoch nicht immer ganz eindeutig, wie sich aus dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 12. April 2023 hervorgeht.
Geltendmachung von Gesellschaftsschulden gegenüber ehemaligen Geschäftsführern
Zunächst einmal müssen die Schulden des Unternehmens vor dem Ausscheiden des Geschäftsführers aus der GmbH entstanden sein. Nachdem der Gläubiger Klage erhoben hat und das Verfahren durchgeführt wurde, erlässt das Gericht ein Urteil, in dem das Bestehen der strittigen Schuld festgestellt wird. Nachdem der Gläubiger eine Vollstreckungsklausel erhalten hat, geht er in die Vollstreckungsphase über. Es kann vorkommen, dass die Vollstreckung einer Forderung gegen das Unternehmen durchzusetzen, weil es an Vermögenswerten fehlt. In einem solchen Fall ist der Gläubiger nicht völlig machtlos und kann sich auf Artikel 299 § 1 des polnischen Handelsgesellschaftsgesetzbuches (HGGB) berufen, wonach die Mitglieder Geschäftsführung für die Schulden der Gesellschaft haften. Ein Geschäftsführer kann sich z. B. mit der Begründung exkulpieren, dass das Unternehmen ohne sein Verschulden keinen Insolvenzantrag gestellt hat. Der Katalog der haftungsbefreienden Umstände umfasst jedoch nicht das Nichtbestehen einer durch rechtskräftiges Urteil festgestellte Schuld.
Was ist also, wenn ein Gläubiger Dokumente gefälscht hat, die das Bestehen einer Schuld bestätigen und ein Gericht das Unternehmen auf dieser Grundlage verurteilt hat? Kann sich ein ehemaliger Geschäftsführer von der Haftung für diese nichtexistierende Schuld befreien? Mit dieser Frage hat sich kürzlich das Verfassungsgericht beschäftigt.
In seinem Urteil vom 12. April 2023 entschied das Gericht, dass Artikel 365 § 1 der polnischen Zivilprozessordnung (kurz „ZPO“), der die Bindungswirkung von Urteilen festlegt, in Verbindung mit Artikel 299 § 1 HGGB insofern verfassungswidrig ist, als dass er verhindert, dass ein ehemaliges Geschäftsführungsmitglied einer GmbH von der gesamtschuldnerischen Haftung befreit wird, indem es nachweist, dass die Schulden, die durch Urteil nach dem Ausscheiden aus der Geschäftsführung festgestellt wurden, nicht bestehen. Es ist zu unterstreichen, dass das Urteil nur für Geschäftsführungsmitglieder gilt, die vor der Klageerhebung gegen das Unternehmen aus der Geschäftsführung ausgeschieden sind.
Bindungwirkung früherer Urteile gegen die Gesellschaft – sind dem Gericht die Hände gebunden?
Gemäß Artikel 365 § 1 der polnischen ZPO ist das Gericht, bei dem das Verfahren gegen ein ehemaliges Geschäftsführungsmitglied anhängig ist, grundsätzlich an ein früheres Urteil über die Feststellung des Bestehens der Forderung gegenüber der Gesellschaft gebunden. Das bedeutet, dass das Gericht beim Erlass eines Urteils gegen ein ehemaliges Geschäftsführungsmitglied die in dem früheren Urteil enthaltenen Feststellungen grundsätzlich berücksichtigen muss. Wie sich herausstellt, ist dies jedoch nicht immer der Fall. In einem vor dem Bezirksgericht für die Hauptstadt Warschau anhängigen Verfahren machte das beklagte ehemalige Geschäftsführungsmitglied geltend, dass ein Urteil gegen das Unternehmen niemals hätte erlassen werden dürfen, da die Dokumente, die das Bestehen der Schulden des Unternehmens bestätigen sollten, gefälscht gewesen seien. Er selbst konnte mangels Kenntnis an dem Verfahren gegen das Unternehmen nicht teilnehmen und hatte somit keine Möglichkeit, die Fälschung der Dokumente aufzudecken. Eine solche Konstruktion beraubte ihn seines verfassungsmäßig garantierten Rechts auf Verteidigung. In seinem Urteil stellte das Verfassungsgericht fest, dass in einem solchen Fall Artikel 365 § 1 der ZPO insofern verfassungswidrig ist, als dass er eine Bindung des Gerichts im Verfahren gegen das ehemalige Geschäftsführungsmitglied an das gegen die Gesellschaft ergangene Urteil vorsieht.
Was ist mit abgeschlossenen und anhängigen Verfahren gegen ehemalige Geschäftsführungsmitglieder?
Im Falle eines abgeschlossenen Verfahrens könnte ein ehemaliges Geschäftsführungsmitglied einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder eine Klage gegen die Staatskasse auf Ersatz des ihm durch den normativen Akt entstandenen Schadens in Erwägung ziehen. Was die erste Lösung betrifft, so ist die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht einheitlich. Einerseits erklärt das Verfassungsgericht, dass in solchen Fällen die Wiederaufnahme des Verfahrens unzulässig ist (was auch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestätigt), andererseits lässt es eine solche Lösung manchmal zu. Was die Möglichkeit betrifft, Schadensersatz von der Staatskasse zu fordern, so ist auch diese Lösung mit Vorsicht zu genießen. Wie in der Literatur angegeben, ziehen Urteile bei einer sogenannten Normenkontrolle in den meisten Fällen die Verpflichtung zum Erlass von Vorschriften nach sich, die die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Regelung „korrigieren“. Erst die Untätigkeit des Gesetzgebers in dieser Hinsicht kann als Verstoß gegen die Pflicht zum Erlass eines normativen Aktes angesehen werden und den Weg für eine Schadensersatzforderung ebnen.
Das Urteil sollte eine andere Wirkung auf anhängige Verfahren gegen ehemalige Geschäftsführer haben. Ein Gericht, das ein Verfahren gegen einen ehemaligen Geschäftsführer führt, sollte nicht an Feststellungen des Bestehens von Verbindlichkeiten der Gesellschaft gebunden sein, die in einem Verfahren gegen die Gesellschaft getroffen wurden, an dem das Geschäftsführungsmitglied gar nicht teilnehmen konnte. Folglich sollte das Gericht in dem Verfahren gegen den Geschäftsführer in dieser Hinsicht ein eigenes Beweisverfahren durchführen und dem ehemaligen Geschäftsführer die Möglichkeit geben, Beweise für das Nichtbestehen der Forderungen gegen die Gesellschaft vorzulegen.
Wie können sich Gläubiger absichern?
Es verbleibt die Frage nach anhängigen Verfahren gegen die Gesellschaft. Kann ein Gläubiger bereits im anhängigen Zahlungsverfahrens absehen , dass eine Vollstreckung gegen die Gesellschaft aussichtslos ist, so kann er erwägen, ehemalige Geschäftsführer in das Verfahren einzubeziehen. Eine solche Lösung eröffnet zum einen ehemaligen Geschäftsführern die Möglichkeit, dem Verfahren gegen die Gesellschaft beizutreten und sich gegen nicht bestehende Forderungen zu wehren. Andererseits schützt sie den Gläubiger vor dem Vorwurf, dass dem ehemaligen Geschäftsführer sein Verteidigungsrecht im Hinblick auf eine mögliche Anfechtung von Forderungen durch den ehemaligen Geschäftsführer vorenthalten wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die bloße Ladung eines Geschäftsführers zur Teilnahme am Verfahren diesem die Möglichkeit eröffnet, sich gegen die Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu verteidigen. Dies gilt unabhängig davon, ob er dem Verfahren letztlich beigetreten ist oder nicht.
Erlaubt das Urteil den Missbrauch durch scheidende Geschäftsführer einer GmbH?
Es wird behauptet, dass das Urteil Missbräuche durch scheidende Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, z.B. durch Eingehung von Schulden, ermöglicht. Dem kann nur schwerlich zugestimmt werden. Das Urteil sieht eine Verfassungswidrigkeit der dort genannten Bestimmungen nur insoweit vor, als dass sie einen ehemaligen Geschäftsführer daran hindern, nachzuweisen, dass keine Schulden gegenüber der Gesellschaft bestehen. Es schützt also solche Geschäftsführer nicht, die vor ihrem Ausscheiden tatsächlich dafür gesorgt haben, dass das Unternehmen Schulden gemacht hat, die seine tatsächliche Zahlungsfähigkeit übersteigen.