Business Judgement Rule – akademisches Beispiel aus der Praxis einer Börsengesellschaft
Die Umstände, die in der seit einigen Monaten geführten öffentlichen Diskussion über die Tätigkeit und Vergütung eines Beraters des Vorstands eines an der Warschauer Börse notierten Unternehmens zutage getreten sind, sind ein Beispiel für die falsche Anwendung der Business Judgement Rule durch die Organe einer Kapitalgesellschaft. Medienberichten zufolge war ein mit der Universität Warschau assoziierter Managementexperte durch einen Beratungsvertrag mit einem börsennotierten Unternehmen verbunden. Aufgrund dieses Vertrages sollte der Berater Dienstleistungen für den Unternehmensvorstand erbringen und dafür eine Vergütung von mehreren zehntausend Zloty erhalten. Nach der Kündigung des Vertrages mit dem Berater kam es zu einem Rechtsstreit, weil dem Berater vorgeworfen wurde, dass er zum Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen nicht im Unternehmen erschienen sei und dass es im Unternehmen keine nachweisbaren Spuren gebe, die die erbrachte Beratungleistung bestätigen. Wie zu vermuten ist, wurden diese Umstände bei einer im Unternehmen durchgeführten Prüfung festgestellt.
Grundsatz der geschäftlichen Beurteilung
Die Regel der geschäftlichen Beurteilung (Business Judgment Rule, BJR) wurde mit der Änderung des polnischen Handelsgesellschaftsgesetzbuches, die am 13. Oktober 2022 in Kraft getreten ist, für die Aktiengesellschaft kodifiziert. Die neuen Bestimmungen stellen klar, wann ein Mitglied eines Organs, der Geschäftsleitung oder des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft bei der Ausübung seiner Tätigkeit die erforderliche Sorgfalt eingehalten hat. Der Nachweis der Einhaltung der Sorgfaltspflicht kann sich auf die potenzielle finanzielle Haftung eines Geschäftsführungs- oder Aufsichtsratsmitglieds für Schäden auswirken, die der Gesellschaft durch sein Handeln entstanden sind. Es handelt sich also um wichtige Leitlinien für Organmitglieder.
Die eingeführten Regelungen sehen vor, dass ein Organmitglied die sich aus seiner beruflichen Tätigkeit ergebende Sorgfaltspflicht nicht verletzt, wenn es loyal gegenüber dem Unternehmen und innerhalb der Grenzen vernünftiger Geschäftsrisiken handelt, auch auf der Grundlage von Informationen, Analysen und Meinungen, die unter den gegebenen Umständen bei einer sorgfältigen Beurteilung zu berücksichtigen sind. Wie man sieht, legt dieser Grundsatz den Schwerpunkt auf die Solidität des unternehmerischen Entscheidungsprozesses, der auch auf der Grundlage von Informationen, Analysen und Meinungen von außen erfolgen kann und in einigen Fällen auch sollte.
Verlauf des Beratungsprozesses im Unternehmen
Wie der Beratungsprozess für die Unternehmensleitung ablief, lässt sich aus den Details der öffentlichen Stellungnahme des Beraters erschließen. Für die Analyse der Anwendung der BJR ist die Art und Weise sowie der Umfang, wie die Beratung dort dokumentiert wurde, relevant.
Aus der Stellungnahme des Experten geht hervor, dass die Beratung von Angesicht zu Angesicht durch „tägliche, auch am Wochenende stattfindende Sitzungen, Telefonkonferenzen, Gespräche mit dem Geschäftsführer des Unternehmens“ erfolgte. Die Ergebnisse der Beratung wurden nicht dokumentiert, da „eine schriftliche Form nicht erforderlich ist“. Dies liege „einerseits an den Bedürfnissen der Unternehmensleitung und andererseits an den offensichtlichen Vorteilen einer mündlichen Wirtschaftsberatung“, hieß es. Der Verzicht auf eine Dokumentation wurde auch mit „der Vertraulichkeit der erteilten Informationen und der geführten Gespräche“ begründet. Soviel zur Form der Beratung in Kürze.
Was den Umfang der Beratung betrifft, so „betrafen die täglichen Konsultationen mit dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Fragen strategischer Natur für das Unternehmen, die Beratung in wirtschaftlichen Angelegenheiten sowie solche, die sich auf das tägliche Management des Unternehmens bezogen. Das eigentliche Ergebnis der Sitzungen und Beratungen war die Entwicklung substanzieller Lösungen, die zu konkreten Geschäftsentscheidungen führten“.
Lektion für die praktische Anwendung der Business Judgment Rule
Ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft kann und sollte innerhalb der Grenzen des begründeten wirtschaftlichen Risikos handeln. Wo die Grenze zwischen begründetem und unvernünftigem, d.h. übermäßigem wirtschaftlichem Risiko verläuft, ist jedoch gerade im Gesetz schwer zu definieren. Daher hat der Gesetzgeber den Schwerpunkt auf die Bewertung der Richtigkeit des Entscheidungsprozesses gelegt und darauf hingewiesen, dass sich ein Mitglied eines Gesellschaftsorgans (im vorliegenden Fall der Vorstand) auf Informationen, Analysen und Meinungen stützen sollte, die unter den gegebenen Umständen bei einer sorgfältigen Bewertung berücksichtigt werden sollten.
Es besteht kein Zweifel, und die ständige Rechtsprechung bestätigt dies, dass jede Person, die sich entscheidet, Vorstandsmitglied zu werden, über die Kenntnisse und Erfahrungen verfügen sollte, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Unternehmens mit der Sorgfalt zu behandeln, die der berufliche Charakter der Tätigkeit erfordert. Zusätzlich zu seinen eigenen Kenntnissen und Erfahrungen sollte ein Vorstandsmitglied auf die Kenntnisse und Erfahrungen zurückgreifen, die der Organisation, der er vorsteht, zur Verfügung stehen. Dies ist auch wirtschaftlich gerechtfertigt. Unternehmen bauen in verschiedenen Bereichen ihrer Tätigkeit eigenes Know-how auf, sammeln Wissen und Erfahrung, was sich unter anderem in den Ressourcen der Mitarbeiter niederschlägt. Diese Ressourcen sollten von den Unternehmensorganen gepflegt, aber auch bei unternehmerischen Entscheidungen genutzt werden.
Mögliche Haftungsbefreiung
An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob sich ein Vorstandsmitglied, das im Rahmen seiner laufenden Tätigkeit im Zusammenhang mit der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit der Gesellschaft eine Grundlage für eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft geschaffen hat, von seiner Haftung befreien kann, indem es angibt, dass es sich auf die Meinung eines externen Beraters verlassen hat. Ein solcher Versuch, sich von der Haftung freizusprechen, könnte sich sogar als riskant erweisen, wenn das Vorstandsmitglied angibt, dass es sich in Fragen der „laufenden, alltäglichen Geschäftsführung“ nicht auf seine eigenen Kenntnisse und Erfahrungen, sondern auf die Meinung eines externen Beraters stützt. Denn dies könnte auf eine Unfähigkeit zur kritischen Analyse einer solchen Stellungnahme hindeuten, da das Vorstandsmitglied selbst nicht über die Kenntnisse und Erfahrungen verfügte, um über die täglichen Angelegenheiten des Unternehmens zu entscheiden. Anders wäre der Fall, wenn aus Arbeitsberichten des Vorstands hervorgeht, dass das betreffende Vorstandsmitglied selbst eine Entscheidung getroffen und einen Berater nur zu einem solchen Ergebnis kritisch befragt hat.
Die Notwendigkeit, Entscheidungen über strategische, langfristige oder außerhalb des Geschäftsbereichs liegende Fragen zu treffen (z. B. die Entscheidung, ein Unternehmen in einem anderen Bereich zu erwerben), kann es rechtfertigen, dass sich die Geschäftsführung/der Aufsichtsrat auf Informationen, Analysen oder Meinungen externer Experten stützt. Ein solches Fachwissen ist im Unternehmen möglicherweise nicht vorhanden, und die Mitglieder des Vorstands verfügen vielleicht nur über begrenzte Kenntnisse, wenn das konkrete Probleme über die bisherigen Tätigkeiten des Unternehmens hinausgehen.
Schriftliche Dokumentation der Expertenmeinung
In einem solchen Fall scheint es von entscheidender Bedeutung zu sein, den Prozess und das Ergebnis der Konsultation zu dokumentieren. Dies ist von persönlicher Bedeutung für das Vorstandsmitglied, das nachweisen kann, dass es sich auf den Rat des Experten gestützt hat, um zu beweisen, dass es im Rahmen des legitimen Geschäftsrisikos gehandelt hat. Wird die Aufzeichnung der Expertenmeinung sichergestellt, zeugt dies von der Einhaltung der Sorgfaltspflicht des Organmitglieds, das eine solche in Auftrag gibt. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine so banale Angelegenheit wie die steuerlichen Aspekte und den Nachweis handelt, dass die an den Sachverständigen gezahlte Vergütung im Zusammenhang mit der für das Unternehmen geleisteten konkreten Arbeit stand.
Es scheint auch wichtiger zu sein, dass der Entscheidungsprozess des Organs zu einem späteren Zeitpunkt rekonstruiert werden kann, so dass er nachvollzogen und die getroffene Entscheidung gegebenenfalls überprüft, geändert oder widerrufen werden kann. Ohne die Möglichkeit, den Prozess, der zu einer bestimmten Entscheidung geführt hat, nachzuvollziehen, einschließlich wirtschaftlicher, marketingbezogener Parameter usw., wird dies sehr schwierig sein. Schließlich sollte die Dokumentation von Expertenmeinungen als Grundlage für Entscheidungen der Geschäftsleitung oder des Aufsichtsrates von allen Mitgliedern des jeweiligen Organs, die Kenntnis von einem solchen Gutachten haben, sichergestellt werden. Wenn eine solche Meinung einem Vorstandsmitglied direkt mündlich mitgeteilt wurde und dieses sich bei einer kollektiven Entscheidung des Vorstandes oder Aufsichtsrates darauf beruft, haben die anderen Organmitglieder keine Möglichkeit zu überprüfen, ob ein solches Gutachten auf der Grundlage einer korrekten Annahme (die wahrscheinlich ebenfalls direkt mündlich mitgeteilt wurde) abgegeben wurde. Sie können daher weder die Logik der Stellungnahme nachvollziehen noch eventuelle Begründungsfehler erkennen, da die mündliche Stellungnahme, die weitergegeben wird, notwendigerweise sehr kurz formuliert ist und sich in der Regel auf eine Schlussfolgerung beschränkt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Stellungnahmen zu Entscheidungen außerhalb der gewöhnlichen Tätigkeit des Unternehmens, die die Grundlage für Entscheidungen im Rahmen eines akzeptablen Geschäftsrisikos bilden sollen, dokumentiert werden müssen. Dies ist Ausdruck der Sorgfaltspflicht bei der Führung der Geschäfte des Unternehmens sowohl durch das Organmitglied, das die Stellungnahme in Auftrag gibt, als auch durch die anderen, die ihre Entscheidungen auf diese Stellungnahme stützen.
Faktisches Vorstandsmitglied (Shadow Director)
Die Intensität der Beratung, die in der Erklärung des Experten hervorgehoben wird – „Gespräche mit dem Vorstandsvorsitzenden fanden täglich statt, auch am Wochenende / tägliche Beratung mit dem Vorstandsvorsitzenden“ – und ihr sehr weiter Umfang – „Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem täglichen Management des Unternehmens / Entscheidungen, sowohl täglich als auch langfristig / Angelegenheiten strategischer Natur für das Unternehmen, Beratung in wirtschaftlichen Angelegenheiten sowie solche, die mit dem täglichen Management des Unternehmens zusammenhängen“ – wirft die Frage auf, ob ein Vorstandsmitglied, das so intensiv beraten wird, seine Entscheidungen selbst trifft oder ob ihm ein so genannter Shadow Director, d.h. ein faktisches Vorstandsmitglied, zur Seite steht.
Das Konzept eines faktischen Vorstandsmitglieds, d.h. einer Person, die kein Mandat im Vorstand hat, aber tatsächlich Einfluss auf das Verhalten des Vorstands nimmt, hat sich im polnischen Rechtssystem nicht durchgesetzt. Es ist jedoch in der Praxis und in der Rechtswissenschaft weithin bekannt. Das polnische Recht spricht nur im Insolvenzrecht von einem faktischen Vorstandsmitglied. Das Insolvenzgesetz sieht vor, dass das Gericht entscheiden kann, dass einer Person, die durch die tatsächliche Leitung des Unternehmens des Schuldners wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Insolvenzantrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist gestellt wurde (Art. 373 Abs. 1 Nr. 1a), das Recht entzogen werden kann, Geschäfte zu führen oder als Inhaber von Befugnissen zu handeln.
Ein Vorstandsmitglied, das nicht selbst Managemententscheidungen trifft, sondern Anweisungen oder Weisungen von Dritten befolgt, würde sich dem Vorwurf mangelnder Sorgfalt und damit der finanziellen Haftung im Falle eines Schadens für das Unternehmen und einer Entlastungsverweigerung aussetzen. Dies ist jedoch ein Thema, das eine gesonderte Untersuchung erfordert.