Strategien zur Minderung von Vertragsstrafen -welchen Beitrag können Juristen leisten?
Das in Artikel 484 § 2 des polnischen Zivilgesetzbuches (ZGB) vorgesehene Institut der Vertragstrafenminderung ist eine Ausprägung des sogenannten Richterrechts, das dem Gericht einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung einräumt, ob und inwieweit ein Minderungsantrag zu berücksichtigen ist[1].
Antrag auf Minderung der Vertragsstrafe
Die Minderung erfolgt auf Antrag des Schuldners, der angeben muss, auf welche Voraussetzungen er seine Forderung stützt (Erfüllung eines wesentlichen Teils der Verbindlichkeit, grobe Überhöhung der Strafe) und was die Erfüllung rechtfertigt. Es ist nicht unüblich, dass der Antragsteller auch einen auf merh oder weniger objektiven Kriterien beruhenden Vorschlag macht, wie die Vertragsstrafe gemindert werden soll.
Die Analyse der Rechtsprechung zeigt, dass die Gerichte, wenn sie dem Antrag des Schuldners stattgeben und die oben beschriebenen Voraussetzungen berücksichtigen, die Strafe oft prozentual herabsetzen (z. B. um 50 % oder 25 %), ohne die Höhe dieser Herabsetzung näher zu begründen.
Unkonventionelle Minderung von Vertragsstrafen
Es gibt jedoch Fälle, in denen das Gericht, meist unter Berufung auf die vom Schuldner vorgeschlagene Methode, eine Herabsetzung der Vertragsstrafe auf unkonventionellere Weise vornimmt und sich auf Berechnungen stützt, die auf detaillierteren Kriterien beruhen.
Entscheidungen zur Minderung von Vertragsstrafen
Im Folgenden stellen wir interessante Entscheidungen vor, die die unterschiedlichen Ansätze der Gerichte bei der Bestimmung des Grades der Minderung der Vertragsstrafe aufzeigen. Dies sind nur einige Beispiele aus unserer umfangreichen Datenbank.
Fallbeispiel 1
Das Berufungsgericht Lublin hat in einem Urteil (Verwaltungsgericht Lublin, 19.11.2020, Az. I AGa 106/19), in dem es um einen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe für den Rücktritt des Klägers (Bauunternehmers) von einem Bauvertrag aus Gründen ging, die allein dem Beklagten (Bauherrn) zuzurechnen waren, und die ursprünglich mit 20 % des Auftragswerts berechnet worden war, entschieden, dass es angemessen sei, die Vertragsstrafe auf Grundlage des Werts der vom Bauunternehmer erbrachten Leistungen zu reduzieren. Die Vertragsstrafe wurde um 85 % herabgesetzt:
„Vergleicht man die im Vertrag festgelegte Frist für die Ausführung der Arbeiten durch den Kläger (…) mit dem tatsächlichen Ausführungstermin des Vertrags (…), so ist festzustellen, dass der Vertrag während eines Zeitraums ausgeführt wurde, der 63 % der voraussichtlichen Ausführungszeit betrug. Vergleicht man wiederum den Wert der von der Klägerin in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen (36.227,25 PLN) mit dem Wert der vertraglich vereinbarten Leistungen (1.185.000 PLN), so kommt man zu dem Schluss, dass der Wert der von der Klägerin erbrachten Leistungen 3 % betrug. Mit anderen Worten: In einem Zeitraum von 63 % der für die Vertragserfüllung vorgesehenen Zeit hat der Kläger Arbeiten im Wert von 3 % ausgeführt. Dieser Umstand beweist das Bestehen eines Missverhältnisses zwischen dem vertraglich vereinbarten Arbeitsumfang und dem von der Klägerin tatsächlich ausgeführten Arbeitsumfang unter Berücksichtigung der tatsächlichen Zeit der Vertragserfüllung. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Klägerin in der bis zum Vertragsende verbleibenden Frist von 40 Tagen, die 37 % der Vertragslaufzeit ausmacht, Arbeiten im Wert von 97 % des Gesamtwerts abschließen wollte, lassen die oben genannten Zahlen und Werte und vor allem die von der Klägerin vorgelegten Beweise einen solchen Schluss nicht zu. Dies wiederum rechtfertigt die Einschätzung, dass die vorbehaltene Vertragsstrafe in Höhe von 20 % der gesamten Nettovergütung, d. h. 237.000 PLN, unter den Umständen des vorliegenden Falles grob überhöht ist und unter Berücksichtigung des Umfangs der von der Klägerin tatsächlich ausgeführten Arbeiten bemessen werden muss. Denn die Vertragsstrafe in voller Höhe kann nicht als angemessen angesehen werden, wenn der Kläger die vertraglich vorgesehenen Arbeiten nur in geringem Umfang, nämlich in Höhe von nur 3 % ihres Wertes, ausgeführt hat.
Darüber hinaus wies das Gericht bei der Minderung der Vertragsstrafe unter anderem darauf hin, dass die Klägerin es aufgrund des geringen Baufortschritts versäumt hatte, einen großen Teil des Materials zu kaufen, was sich eindeutig auf die Höhe ihres potenziellen Schadens auswirkte.
Fallbeispiel 2
In dem vor dem Bezirksgericht Warschau verhandelten Fall (Urteil vom 17.02.2023, Az. XXGC 181/20) hat die Beklagte dem Kläger Vertragsstrafen für 11 Tage Verspätung bei der Fertigstellung der Wasserleitung und des Kanalisationsnetzes und für 6 Tage Verspätung bei der Fertigstellung der Stützmauer in Höhe von insgesamt 307.798,84 PLN (0,5 % der gesamten Bruttovergütung für jeden angefangenen Verzugstag, gerechnet ab dem Ablauf der vertraglichen Fristen) in Rechnung gestellt. Im vorliegenden Fall hielt es das Landgericht für angemessen, die Vertragsstrafe nicht auf den Wert der Gesamtvergütung, sondern auf den Wert der verspäteten Arbeiten selbst zu reduzieren, so dass das Gericht die Vertragsstrafe um 86 % herabsetzte:
„Darüber hinaus wurde die Vertragsstrafe für insgesamt 17 Tage Verspätung in Höhe von 307.798,84 PLN (d. h. mehr als 18.000 PLN pro Tag) berechnet, was es ermöglicht, sie als grob überhöht anzusehen. Obwohl der Betrag von 307.798,84 PLN im Zusammenhang mit dem gesamten Auftrag des Klägers mit einem Wert von über 5.000.000 PLN nicht übermäßig erscheint, wird seine übermäßige Höhe offensichtlich, wenn man bedenkt, dass er für nur 17 Tage berechnet wurde.”
Trotz des geringen Prozentsatzes der Strafe sprach in diesem Fall die leichte Verspätung des Klägers für eine Minderung, die das Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigte.
Fallbeispiel 3
In der Rechtsprechung gibt es auch Fälle, in denen als Maßstab für die Minderung ein Vergleich mit der Vergütung vorgenommen wurde, die einer Partei bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung zustehen würde. Eine solche Situation trat in einem vom Berufungsgericht in Szczecin (Urteil vom 18.11.2022.,Az. I AGa 124/22) verhandelten Fall ein, in dem das Gericht die Strafe auf der Grundlage des Verhältnisses zwischen der Vergütung des Beklagten und dem Wert der akzeptierten Vertragssumme reduzierte. Letztlich reduzierte das Gericht die Strafe um 84%.
„Das Berufungsgericht hat berücksichtigt, dass gemäß § 2 der Anlage Nr. 1 zum Konsortialvertrag die maximale Vergütung der Beklagten aus dem mit der Klägerin geschlossenen Vertrag 6.000.000 PLN netto betragen sollte. Dies entspricht ca. 16 % der genehmigten Vertragssumme, die sich netto auf 37.302.306,06 PLN belief (45.881.836,45 PLN brutto – 8.579.530,39 PLN Umsatzsteuer gemäß Anlage Nr. 1 zum Vertrag Nr. TS-I02/2011 vom 5. November 2011, k. 66). Die Vertragsstrafe (gemäß Pkt. 15.4.c der Besonderen Vertragsbedingungen, und Anlage Nr. 1 zum Angebotsformular für den Vertrag) betrug 25 % der genehmigten Vertragssumme, d.h. 11.470.459,11 PLN; 16 % der letztgenannten Summe ergibt nach Rundung 1.835.274 PLN.“
Es wurde daher davon ausgegangen, dass, da die Vergütung des Beklagten 16 % der gesamten genehmigten Auftragssumme betrug, auch die ihm in Rechnung gestellte Vertragsstrafe auf diesen Betrag reduziert werden sollte.
Fallbeispiel 4
Andererseits nahm das Bezirksgericht Poznań (Urteil vom 16.11.2016, Az. IX GC 276/16) eine atypische Herabsetzung der Vertragsstrafe aus einem Liefervertrag vor, die ursprünglich in Höhe von 0,5 % des Wertes der vertraglichen Vergütung für jeden Tag des Verzugs bei der Übergabe des Vertragsgegenstands (Spezialfahrzeuge), d. h. in Höhe von insgesamt 485 253,45 PLN, berechnet wurde.
In diesem Fall hat sich das Gericht an der Höhe der Vertragsstrafe für den Rücktritt vom Vertrag orientiert, die sich auf 20 % der vertraglichen Vergütung (196.062 PLN) belief. Unter den gegebenen Umständen hielt es das Gericht für gerechtfertigt, den Differenzbetrag zwischen der in Rechnung gestellten Vertragsstrafe in Höhe von 485.253,45 PLN und der Vertragsstrafe für den Rücktritt vom Vertrag in Höhe von 196.062 PLN herabzusetzen, wobei es seine Entscheidung zum einen auf die Tatsache stützte, dass die Vertragsstrafe den Erfüllungsspielraum des Klägers erheblich überstieg (worauf der Kläger selbst im Antrag auf Herabsetzung hinwies), und zum anderen berücksichtigte, dass der Kläger die Frist für die Erfüllung des Vertrags (99 Tage) erheblich überschritten hatte.
Letztendlich wurde die Vertragsstrafe daher von 485.253,45 PLN auf 289.191,45 PLN, d. h. um mehr als 40 %, reduziert.
Fallbeispiel 5
In einem vom Berufungsgericht in Lublin verhandelten Fall (Urteil vom 11.02.2021, Az. I ACa 171/20), der einen Vertrag über die Lieferung von Arzneimitteln betraf, vereinbarten die Parteien eine Vertragsstrafe, in Höhe von 10 % des gesamten Bruttowerts des im Vertrag genannten Produkts (insgesamt wurde eine Vertragsstrafe in Höhe von 157 291,20 PLN erhoben) für den Fall, dass eine Bestellung ganz oder teilweise nicht geliefert wird. Bei der Bemessung der Vertragsstrafe berücksichtigte das Gericht eine Reihe von Faktoren, darunter das Verhältnis zwischen dem Betrag der Vertragsstrafe und dem Wert der nicht gelieferten Arzneimittel (154 %) oder dem Wert der nicht gelieferten Bestellungen, und reduzierte die Vertragsstrafe schließlich um den Betrag von 19.403,20 PLN, der sich allein aus der Multiplikation der Summe des Wertes der nicht gelieferten Bestellungen mit 10 % (d. h. mit insgesamt etwa 12 %) ergibt.
Das Gericht akzeptierte somit die von der Schuldnerin vorgeschlagene Methode zur Reduzierung der gegen sie verhängten Vertragsstrafe.
Von Gerichten berücksichtigte Kriterien
Die angeführten Beispiele zeigen, dass die Gerichte neben dem reinen Ermessen auch gerne objektivierte Kriterien heranziehen, z. B. den Wert der verspätet geleisteten Arbeit, die Höhe anderer im Vertrag vorgesehener Vertragsstrafen, das Verhältnis der Vertragsstrafe zur Marge des Schuldners oder den Wert der ausstehenden Aufträge, z. B. bei einem Liefervertrag. In manchen Fällen werden auch Vorschläge des Schuldners zur Minderung der Vertragsstrafen vom Gericht in Betracht gezogen.
Fazit
Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, den Antrag auf Minderung der Vertragsstrafe sorgfältig zu formulieren und dabei auf präzise und messbare Kriterien Bezug zu nehmen, die für die Erfüllung des betreffenden Vertrags relevant sind. Daher sollte eine eingehende Analyse des betreffenden Falles vorgenommen und die Rechtsprechung so angepasst werden, dass sie optimal auf den konkreten Sachverhalt zugeschnitten ist.