Was bedeutet die Reform des polnischen Gesellschaftsrechts für Kapitalgesellschaften?
Zu den praktischen Auswirkungen der Reform auf Kapitalgesellschaften hat sich dr Marcin Chomiuk am 07.09.2022 in der Zeitung Puls Biznesu geäußert. Hier die Übersetzung des Interviews mit dem Titel „Was bedeuten die neuen Vorschriften?“.
Zum Originalartikel (PL) geht es hier Co przyniosą zmiany w przepisach? – Puls Biznesu – pb.pl
Am 13. Oktober 2022 tritt die umfangreiche Novellierung des Handelsgesellschaftsgesetzbuches in Kraft. In welche Richtung gehen die Änderungen?
Die Reform betrifft drei Bereiche. Zum einen die Einführung einer detaillierten Regelung des sog. Konzernrechts, d.h. Vorschriften über die Gesellschaftsgruppe. Der zweite Bereich umfasst die Aktivierung und Erweiterung der Pflichten von Aufsichtsräten, deren bisherige Handlungen oft auf rein formelle Tätigkeiten ohne wesentliche Einbindung in die Gesellschaftsangelegenheiten beschränkt waren. Darüber hinaus erlegen die neuen Vorschriften der Geschäftsleitung die Pflicht auf, eine geschäftliche Beurteilung der Entscheidung vorzunehmen (Business Judgement Rule).
Die neuen Regelungen sind kontrovers, insbesondere die Neuregelung der konzernrechtlichen Vorschriften wirft die Frage nach ihrer Notwendigkeit und Intention auf. Dieser Teil der Reform kann, muss aber nicht angewendet werden – Holdinggesellschaften können die ihnen passende Option auswählen und bei den gegenwärtig angewendeten Managementkonzepten in der Gesellschaftsgruppe verbleiben.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sich Konzerne in der Praxis für die sog. Light-Version entscheiden werden, die aus der Begründung eines Konzerns aber ohne verbindliche Weisungen besteht und sich auf die Inanspruchnahme des freien Informationsflusses zwischen den Gesellschaften sowie einer erweiterten Aufsicht der herrschenden über die beherrschten Gesellschaften besteht.
Welche Konsequenzen hat die Reform für den Wirtschaftsverkehr?
Faktische Konzerne können formell eine Gesellschaftsgruppe entstehen lassen und die Vorschriften der Reform in Anspruch nehmen. Alternativ können Konzerne wie bisher funktionieren, ohne sich auf die einzelnen Vorschriften zu berufen. Die Reform des HGGB (Handelsgesellschaftsegsetzbuch, Anm. des Übersetzers) erfordert von Leitungsorganen herrschender Gesellschaften die Überlegung, welche Option geeigneter ist.
Werden die Vorschriften der Reform in Anspruch genommen, erwirbt die herrschende Gesellschaft das Recht, anderen, beherrschten Gesellschaften in der Gruppe sog. verbindliche Weisungen zu erteilen.
Selbstverständlich ist die Einführung neuer Rechte auch mit einer möglichen Haftung der herrschenden Gesellschaft für aufgrund von Weisungen entstandenen Schäden verbunden, sowohl im Verhältnis zur beherrschten Gesellschaft als auch ihren Minderheitsaktionären sowie Gläubigern der beherrschten Gesellschaften.
Sind Gesellschaften die Konsequenzen der neuen Vorschriften über die Aktivierung von Aufsichtsräten bewusst?
Bisher ist das Bewusstsein eingeschränkt, auch wenn die Reform Aufsichtsräte aktivieren soll und in diesem Bereich an alle Aktiengesellschaften neuen Anforderungen stellt. Die neuen Vorschriften verpflichten Vorstände von Aktiengesellschaften in Aufsichtsratssitzungen Informationen über die aktuelle Situation der Gesellschaft zu übermitteln.
Vorstände werden verpflichtet, sämtliche Informationen über die durch sie gefassten Beschlüsse samt Begründung sowie eine Erklärung über die Vermögenslage der Gesellschaft, Informationen über wesentliche operative, Personal- und Investitionsmaßnahmen sowie über den Fortschritt bereits beschlossener Pläne und Strategien zu übermitteln.
Folge der Reform werden höhere Anforderungen an Informationen von Vorständen sein, auch in Bezug auf Veränderungen, die in der Gesellschaft erfolgt sind und durch die bereits übermittelten Informationen veraltet sind.
Die Übermittlung von gesetzlich festgelegten Informationen durch den Vorstand an den Aufsichtsrat bringt die Pflicht mit sich, diese Informationen zu analysieren, Schlussfolgerungen zu ziehen und aufgrund dieser entsprechende Schritte einzuleiten.
Unterlässt der Aufsichtsrat dies, setzt er sich einer Haftung aus, sollten die Entscheidungen des Vorstandes zur Entstehung eines Schadens in der Gesellschaft führen. Die Reform des HGGB gibt dem Aufsichtsrat das Recht, sich zwecks Ausübung der laufenden Aufsichtstätigkeit– unter Auslassung des Vorstands – mit einem Informationsgesuch an Prokuristen, aber auch Arbeitnehmer und Mitarbeiter der Gesellschaft zu wenden.
Erfüllt der Aufsichtsrat die gesetzlichen Pflichten wie z.B. die Zusammenstellung laufender Informationen über die Lage der Gesellschaft nicht, so kann dies dazu führen, dass den Mitgliedern des Aufsichtsrates mangelnde Sorgfalt vorgeworfen und sie im Falle eines Vermögensschadens der Gesellschaft haftbar gemacht werden.
Die Reform berechtigt den Aufsichtsrat auch, Berater zu berufen, deren Hilfe er bei der entsprechenden Bewertung konkreter Gesellschaftsangelegenheiten in Anspruch nehmen kann.
Was bedeutet die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt unter Berücksichtigung der geschäftlichen Bewertung der Situation?
Die neuen Vorschriften des HGGB besagen, dass ein Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsführung dann die Anforderungen an die gebotene Sorgfalt erfüllt, wenn er sich der Gesellschaft gegenüber loyal verhält und im Rahmen des begründeten Wirtschaftsrisikos handelt, darunter aufgrund von Informationen, Analysen und Gutachten, die unter den gegebenen Umständen berücksichtigt werden sollten.
Es kann davon ausgegangen werden, dass Vorstände und Aufsichtsräte vor der Fassung einer geschäftlichen Entscheidung eine größere Tendenz zur Einholung externer Gutachten sowie professionellen rechtlichen, ökonomischen und technischen Rates zeigen werden.
Dies erhöht sicherlich die Tätigkeitskosten der Gesellschaft und kann zur Verlängerung des Entscheidungsprozesses im Vergleich zur bisherigen Situation führen. Dies kann passieren, obwohl Vorstand und Aufsichtsrat auch vor der Reform auf diese Weise Entscheidungen beurteilen sollten. Die Reform legt jedoch besonderen Wert auf die Einholung von Informationen und Gutachten, was bisher so nicht im HGGB vorgesehen war.