KNF erlegt Aufsichtsratsmitgliedern Bußgelder auf
Die polnische Finanzdienstleistungsaufsicht (poln. Komisja Nadzoru Finansowego, kurz „KNF“) hat in den letzten zwei Jahren verstärkt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Unternehmen unmittelbar Bußgelder aufzuerlegen. Die Zahl der Bußgeldbescheide hat sich im Jahr 2022 im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelt. Für jeden Verstoß drohen bis zu 100.000 PLN. Entschärft werden kann die Situation durch eine ordnungsgemäße Corporate Governance im Unternehmen und ein Bewusstsein der Aufsichtsratsmitglieder für die ihnen obliegenden Pflichten sowie übertragenen Befugnisse.
Änderung der Gesetzeslage
Die Tendenz, Aufsichtsratsmitglieder in die Pflicht zu nehmen, zeigt sich nicht nur an den verhängten Strafen, sondern auch an den Gesetzesänderungen. Bis zum 30. Mai 2022 konnte gegen Aufsichtsratsmitglieder nur dann ein Bußgeld verhängt werden, wenn die KNF in einem zuvor erlassenen Bescheid einen groben Rechtsverstoß des Unternehmens selbst feststellte. Außerdem konnte dies nur innerhalb von 12 Monaten nach dem leztzten sanktionierenden Bescheid gegen das Unternehmen geschehen.
Ab dem 30. Mai 2022 entfällt das Erfordernis des Präjudizes gegen die Gesellschaft und damit auch die Frist, in der ein Bescheid über die Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds erlassen werden kann. Bescheide über die Verhängung von Sanktionen gegen Aufsichtsratsmitglieder können nun unabhängig von Bescheiden über die Verhängung von Sanktionen gegen Unternehmen erlassen werden, wobei die Verjährungsfristen der Verwaltungsverfahrensordnung einzuhalten sind.
Bieten die bisherigen Vorschriften des HGGB einen Sorgfaltsmaßstab für Aufsichtsratsmitglieder ?
Die Mitglieder der Aufsichtsräte von Emittenten werden von der KNF als besondere Fachleute angesehen, die spezielle Kenntnisse über börsennotierte Unternehmen vorweisen sollten. Die Übernahme eines Amtes im Aufsichtsrat eines börsennotierten Unternehmens sollte daher eine bewusste und wohlüberlegte Entscheidung sein, der eine eventuelle Schulung über die rechtlichen Verpflichtungen vorausgeht.
Der Hauptvorwurf, der den Aufsichtsratsmitgliedern in den erlassenen Bescheiden gemacht wird, ist ihre mangelnde aktive Beteiligung an der Aufsicht. Die Passivität der Aufsichtsratsmitglieder besteht nach Ansicht der KNF beispielsweise darin, dass sie es unterlassen haben, den Vorstand aktiv aufzufordern, zusätzliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, Einsicht in die Bücher des Unternehmens zu nehmen oder zusätzliche Sachverständigengutachten oder Stellungnahmen einzuholen. Die oben genannten Vorwürfe der KNF laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass sie sich nicht kritisch mit den vom Vorstand zur Verfügung gestellten Daten und Informationen auseinandersetzen, sondern diese lediglich passiv entgegennehmen und als ihren Standpunkt akzeptieren.
Welcher Sorgfaltsmaßstab von einem Aufsichtsratsmitglied erwartet wird, lässt sich aus den Begründungen der bisherigen Bescheiden der KNF ablesen. Es wird erwartet, dass er sich wie ein engagierter Fachmann verhält, der sich nicht mit den Informationen der Geschäftsleitung begnügt, sondern diese, wenn nötig, aktiv überprüft, indem er zusätzliche Daten oder Fachkenntnisse einholt. Das Ausmaß und die Art und Weise der Überwachung sollten an die Art der Tätigkeiten des Unternehmens angepasst werden. Aufsichtsratsmitglieder müssen aktiv und kritisch an den Sitzungen teilnehmen und die Überwachung sollte fortlaufend und kontinuierlich erfolgen, nicht nur während oder im Zusammenhang mit Sitzungen. Der Aufsichtsrat sollte auch die von der Geschäftsführung vorgelegten Informationen und Dokumente kritisch prüfen, und der Umfang der Aufsicht sollte sich sowohl auf tatsächliche als auch auf rechtliche Tätigkeiten erstrecken, die sich auf die wirtschaftliche und rechtliche Stellung des Unternehmens auswirken.
Wirkt sich die Änderung des HGGB auf das Risiko von Sanktionen aus?
Ziel der im Oktober 2022 in Kraft getretenen Novelle des polnischen Handelsgesellschaftsgesetzbuches „HGGB“ ist es, die Rolle, die Tätigkeit und die Professionalität der Aufsichtsräte zu stärken, indem die Aufsichtsinstrumente erweitert und Offenlegungspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsorgan im Unternehmen erhöht werden. Dies wiederum bedeutet, dass die Anforderungen der Aufsichtsbehörden an die Sorgfaltspflicht eines Aufsichtsratsmitglieds steigen und die geforderte Wirksamkeit der ausgeübten Aufsicht zunimmt.
Die Änderung erhöht daher das potenzielle Haftungsrisiko für Aufsichtsratsmitglieder. Die Einführung neuer Informationspflichten der Geschäftsleitung gegenüber Aufsichtsräten oder die Einführung neuer Befugnisse für Aufsichtsräte, die es ihnen ermöglichen, die Aufsicht in sehr weitem Umfang aktiv auszuüben und die von der Geschäftsleitung gemachten Angaben zu überprüfen (z.B. die Möglichkeit für den Aufsichtsrat, einen externen Berater einzuschalten), wird eine mögliche Verteidigung gegen Vorwürfe der KNF erheblich erschweren. Die neuen Befugnisse von Aufsichtsräten sind gleichzeitig auch neue Verpflichtungen. Die Nichtausübung der Befugnisse wird daher als unsachgemäße Aufsicht und mangelnde Sorgfalt ausgelegt , was das Haftungsrisiko erhöht und zu Bußgeldern führt.
Aufsichtsratsmitglieder sollten sich daher darauf vorbereiten, die Aufsicht unter den neuen Bedingungen auszuüben, die durch die Praxis der KNF und die Novellierung des HGGB geprägt sind. In erster Linie sollten sie sich regelmäßig fortbilden. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollten Aufsichtsratsmitglieder proaktiv sein und ihre Tätigkeit dokumentieren, sowie ihre neuen Befugnisse kennen und nutzen. Grundlage für ein sicheres und effektives Funktionieren des Aufsichtsrates ist seine Geschäftsordnung, deren durchdachte Gestaltung ein wichtiger Faktor zur Reduzierung des Haftungsrisikos sein kann.