Absprachen und Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt unter der Lupe des Kartellamts
Das Wettbewerbsrecht wird eher nicht mit dem Arbeitsmarkt in Verbindung gebracht. Die Kartellbehörden jedoch sind sich eines Zusammenhangs dieser beiden Bereiche durchaus bewusst, in Polen wird die Anwendung marktmissbräuchlicher Praktiken mit Geldstrafen bedroht. Gegen wen können sie verhängt werden und in welcher Höhe?
Das Kartellrecht wird meist mit dem Wettbewerb beim Verkauf von Waren oder Dienstleistungen in Verbindung gebracht. Unternehmen konkurrieren jedoch nicht nur beim Verkauf ihrer Waren, sondern auch bei der Einstellung der fähigsten Mitarbeiter. Dadurch können sie sich einen Vorteil gegenüber anderen Unternehmern verschaffen und die Qualität ihrer Waren oder Dienstleistungen verbessern. Der Rahmen für diesen Wettbewerb wird für Unternehmer durch das Kartellrecht gesetzt.
Absprachen und Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt – Leitfaden
Um die Aufmerksamkeit der Unternehmer auf dieses Thema zu lenken, hat das polnische Amt für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz (poln. Urząd Ochrony Konkurencji i Konsumentów, kurz UoKiK) ein 30-seitiges Dokument unter dem Titel „Absprachen und Missbrauch auf dem Arbeitsmarkt. Wettbewerbsrecht und Arbeitsrecht. Ein Leitfaden“ veröffentlicht. Darin wird erläutert, wie das Kartellrecht die Arbeitsbeziehungen im weitesten Sinne beeinflusst. Eine der Hauptadressaten sind Personalverantwortliche.
Die Veröffentlichung des Leitfadens wurde von der Ankündigung begleitet, dass in den Geschäftsräumen von Jeronimo Martins Polska (Supermarktkette Biedronka), Dino (Supermarktkette) und Transportunternehmen Durchsuchungen durchgeführt worden sind. Der Präsident des Amtes für Wettbewerb und Verbraucherschutz vermutet, dass Unternehmer, die Dienstleistungen für Biedronka und Dino erbringen, eine Vereinbarung getroffen haben könnten, um nicht miteinander um Mitarbeiter zu konkurrieren. Solche Absprachen könnten von den Handelsketten koordiniert worden sein.
Verbotene wettbewerbswidrige Vereinbarungen
Im Leitfaden werden Beispiele für wettbewerbswidrige Praktiken auf dem Arbeitsmarkt genannt.
Das erste ist das so genannte „Wage Fixing“, d. h. die Festsetzung der Löhne oder der Bedingungen für ihre Zahlung sowie anderer Leistungen durch Wettbewerber untereinander. Die Frage der Löhne war für die Arbeitnehmer schon immer von Bedeutung, in naher Zukunft jedoch wird sie durch die Verabschiedung der so genannten Lohntransparenzrichtlinie durch die Europäische Kommission noch wichtiger werden. Arbeitgebern wird die Verpflichtung auferlegt, Informationen über das Arbeitsentgelt offen zu legen und die Arbeitnehmer über die Höhe des Arbeitsentgelts zu informieren.
Eine verbotene Vereinbarung kann auch darin bestehen, andere Arbeitsbedingungen als die Vergütung zu vereinbaren, z. B. eine Fernarbeitspolitik oder die Gewährung von Sozialleistungen. Im ersten Fall kann dies besonders heikel sein, da die Fernarbeit infolge der COVID-19-Pandemie für viele Arbeitnehmer zu einer sehr attraktiven Option geworden ist.
No-Poaching oder Abwerbeverbotsvereinbarungen
Eine weitere anzutreffende Praxis sind Abwerbeverbotsvereinbarungen, auch bekannt als No-Poaching. Diese bestehen darin, auf die aktive Abwerbung von Mitarbeitern aus anderen Unternehmen zu verzichten, z. B. keine Einladungen zur Teilnahme an Bewerbungsverfahren zu versenden. In Fällen, in denen der Arbeitnehmer selbst auf Stellensuche ist und einen Lebenslauf schickt, soll die Vereinbarung den Unternehmer dazu verpflichten, von der Einstellung eines solchen Kandidaten abzusehen.
In den Leitlinien wird auch darauf hingewiesen, dass in bestimmten Fällen ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht auf dem Arbeitsmarkt durch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und nicht nur durch Absprachen zwischen zwei oder mehreren Akteuren erfolgen kann. Dies kann der Fall sein, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen in seinen Verträgen mit Arbeitnehmern Wettbewerbsverbote anwendet, die eine „Betonierung“ des Marktes zur Folge haben.
Das Dokument weist auch auf Verhaltensweisen hin, die für das Kartellamt grundsätzlich nicht von Interesse sind, insbesondere Lobbying-Aktivitäten oder Wettbewerbsverbote in Arbeitsverträgen. Bei Wettbewerbsverboten in B2B-Verträgen ist jedoch Vorsicht geboten.
Für das Wettbewerbsrecht gilt ein eigenständiger Begriff des Arbeitnehmers. Dies bedeutet, dass sich die oben beschriebenen Verbote nicht nur auf den Abschluss und die Gültigkeit von Arbeitsverträgen beschränken – sie gelten nicht nur für Arbeitnehmer und arbeitsrechtliche Fälle, sondern z. B. auch für Auftragnehmer oder B2B-Auftragnehmer, die sich in einer mit einem Arbeitnehmer vergleichbaren Situation befinden.
Weitreichende Konsequenzen bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen
Die Anwendung solcher Praktiken kann zur Verhängung von Geldstrafen durch das Kartellamt in Höhe von 10 % des Umsatzes pro Unternehmer oder 2 Mio. PLN pro Manager führen. Es besteht auch die Gefahr von Schadenersatzklagen.
In Polen hat es bereits ähnliche Fälle gegeben: in einem wurden Basketballvereine und der Ligaverband mit einer Geldstrafe belegt, weil sie die Vergütungspolitik für Spieler während der COVID-19-Pandemie koordiniert hatten. In einem anderen Fall wurde gegen den polnischen Automobilverband und den Vorstand der Speedway-Extraliga eine Geldstrafe verhängt, weil in den Wettbewerbsregeln die Höchstgehälter festgelegt worden waren, die die Vereine ihren Spielern bieten konnten. Dies betraf jedoch Fahrer, die ihre Dienste den Vereinen im Allgemeinen im Rahmen von B2B-Verträgen anbieten.
Ähnliche Fälle gab es auch in anderen Ländern. Analoge Absprachen in Kanada werden seit letztem Jahr mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft. In Griechenland wiederum wurde eine Vereinbarung aufgedeckt, mit der der Verband der Aufzugsinstallateure und -wartungsunternehmen Mindestlöhne für Aufzugsinstallateure und -wartungsunternehmen festlegte. In Litauen verhängte die dortige Kartellbehörde eine Geldstrafe in Höhe von 969.060 Euro gegen den litauischen Verband der Immobilienmakler und 39 seine Mitglieder, unter anderem weil der Ethikkodex des Verbandes Sanktionen für die Abwerbung von Immobilienmaklern durch andere Immobilienmakler vorsah. Dies wurde als Abwerbungsverbot angesehen.
Europäische Kommission setzt Warnzeichen
Im Frühjahr dieses Jahres hat sich auch die Europäische Kommission mit solchen Praktiken befasst und ein so genanntes Policy Brief veröffentlicht. Darin weist sie darauf hin, dass Lohnfestsetzungs- und Abwerbungsvereinbarungen generell als verbotene Absicht eingestuft werden sollen. Der bloße Abschluss solcher Vereinbarungen wird unter Strafe gestellt, unabhängig davon, ob und wie wettbewerbsschädlich sie sind. Die Kommission hat aber auch angedeutet, dass solche Vereinbarungen ausnahmsweise zulässig sein können – unter den in dem Dokument beschriebenen sehr strengen Voraussetzungen.
Im Zusammenhang mit dem autonomen Arbeitnehmerbegriff im Wettbewerbsrecht sei kurz auf die Leitlinien der Europäischen Kommission zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen vom 30. September 2022 verwiesen. Solche „Arbeitnehmer“ haben formal gesehen den Status eines Unternehmers, und aus diesem Grund können Vereinbarungen mit ihren „Arbeitgebern“ problematisch sein. Die Kommission vertritt jedoch den Ansatz, dass Tarifverträge, die von Solo-Selbständigen abgeschlossen werden, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer befinden, nicht verboten sind. Sie können z. B. Fragen des Arbeitsentgelts, der Prämien, der Arbeitszeit und -organisation, des Urlaubs, der Entlassung, des Arbeitsorts, der Gesundheit und Sicherheit usw. betreffen. Die Kommission hat diese Fragen in dem Dokument ausführlich geklärt und auch Vereinbarungen genannt, bei denen sie nicht eingreifen wird. Auf das Dokument hat auch das Kartellamt in seinem „Leitfaden“ hingewiesen.
Die Kartellbehörden betonen, dass solche verbotenen Arbeitsmarktpraktiken zu künstlich niedrigen Löhnen, geringerer Qualität und höheren Preisen für Waren oder Dienstleistungen führen. Die Kommission hat auch darauf hingewiesen, dass angesichts der Besonderheiten der nationalen Arbeitsmärkte die Hauptlast der Bekämpfung dieser Praktiken bei den nationalen Behörden liegen wird.
Die Informationen sollten von allen Unternehmern berücksichtigt werden, die eine Mitarbeiter beschäftigen, nicht nur im engeren Sinne von Arbeitsverhältnissen. Sie sollten sicherstellen, dass sie für ihre Mitarbeiter angemessene Schulungen zum Thema Wettbewerbsrecht organisieren. Die Bekämpfung der in diesem Artikel beschriebenen Vereinbarungen wird zu einer der Prioritäten der Kartellbehörden weltweit, in Polen entwickelt sich bereits eine entsprechende Praxis. Das Interesse des polnischen Kartellamts an diesem Thema und die Veröffentlichung des „Leitfadens“ sind sehr positiv zu bewerten, da sie das Rechtsbewusstsein der polnischen Unternehmer stärken.