Polnische Sozialversicherungsanstalt nimmt Corona-Hilfen unter die Lupe
Die polnische Sozialversicherungsanstalt (Zakład Ubezpieczeń Społecznych, kurz „ZUS“) prüft und bestreitet die Rechtmäßigkeit der Zahlung von Corona-Hilfen an Personen, die aufgrund von Dienstleistungsverträgen beschäftigt sind. Die Betroffenen können sich jedoch vor Gericht gegen eine Rückzahlung wehren.
Die Corona-Überbrückungshilfe
Das Jahr 2020 war in vielerlei Hinsicht ein Jahr des Umbruchs. Die COVID-19-Pandemie stellte die Menschheit vor neue Herausforderungen und forcierte die Suche nach rechtlichen Lösungen, um die negativen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abzumildern. Eine Art Hilfe waren Überbrückungsgelder, die im Rahmen des so genannten Anti-Krisen-Schutzschildes durch das Gesetz vom 2. März 2020 über Sonderlösungen im Zusammenhang mit der Vorbeugung, Verhütung und Bekämpfung von COVID-19, anderen Infektionskrankheiten („Gesetz“) eingeführt wurden. Diese Leistung wurde u. a. für Personen gewährt, die auf der Grundlage von zivilrechtlichen Verträgen, einschließlich Dienstleistungsverträgen, beschäftigt sind.
Die Überbrückungshilfe war eine sehr attraktive Lösung für Dienstleistende [Anm.: alle Ausführungen in diesem Artikel beziehen sich entsprechend auf Personen, die im Rahmen anderer zivilrechtlicher Verträge beschäftigt sind], da diese am stärksten von den durch die COVID-19-Pandemie verursachten Einkommensverlusten betroffen waren und nicht den gleichen Schutz wie Arbeitnehmer nach dem Arbeitsgesetzbuch genießen.
5 Jahre Ungewissheit
Trotz der Tatsache, dass die meisten Überbrückungshilfen aufgrund des fast vollständigen Lockdowns noch im Jahr 2020 in Anspruch genommen wurden, hat die Sozialversicherungsanstalt erst vor kurzem damit begonnen, Kontrollen durchzuführen, um die Rechtmäßigkeit dieser Leistungen zu überprüfen. Solche Kontrollen enden nicht selten damit, dass die Sozialversicherungsanstalt einen Bescheid über die Rückzahlung einer als unrechtmäßig in Anspruch genommenen Leistung samt Zinsen erlässt.
Es ist erwähnenswert, dass die Zahl der Personen, die auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge beschäftigt waren, Ende 2019 sogar 1,2 Millionen betrug (Ausgewählte Arbeitsmarktfragen, https://stat.gov.pl/obszary-tematyczne/rynek-pracy/pracujacy-zatrudnieni-wynagrodzenia-koszty-pracy/wybrane-zagadnienia-rynku-pracy-dane-dla-2019-r-,9,8.html; Zugriff am 13. Januar 2023). Es handelt sich also nicht um ein triviales Problem.
Wichtig ist, dass die Sozialversicherungsanstalt einen Bescheid über die Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Leistungen innerhalb von fünf Jahren nach der Auszahlung erlassen kann (Artikel 15zx Abs. 4 des Gesetzes). Dieses Problem kann daher in den nächsten Jahren unerwartet auftreten, je nachdem, wann der Dienstleistende die Überbrückungshilfe beantragt hat.
Die Folgen einer solchen Prüfung durch die Sozialversicherungsanstalt können nicht nur für Dienstleistende, die zur Erstattung von Leistungen verpflichtet sind, sondern auch für Dienstleistungsempfänger, die sie beschäftigen, sehr belastend sein.
Gesetzliche Grundlage für die Überbrückungshilfe
Die Frage der Überbrückungshilfe ist in den Artikeln 15zq-15zza des Gesetzes geregelt. Diese Bestimmungen gaben von Anfang an Anlass zu zahlreichen Zweifeln. Die meisten Unklarheiten ergaben sich bei der Auslegung der – mehrfach geänderten – Bestimmungen über die Überbrückungshilfe für Personen, die im Rahmen zivilrechtlicher Verträge beschäftigt sind. Diese Rechtslage gibt der Sozialversicherungsanstalt nun die Möglichkeit, eine Auslegung vorzunehmen, nach der diese Leistungen zu Unrecht in Anspruch genommen wurden.
Nach dem Gesetz kann ein Antragsteller, der polnischer Staatsbürger oder Ausländer mit rechtmäßigem Wohnsitz in Polen ist, eine Überbrückungsleistung erhalten, wenn der Vertrag vor dem 1. April 2020 geschlossen wurde. Im Monat vor dem Monat der Antragstellung darf das Einkommen aus diesem Vertrag nicht mehr als 300 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts betragen.
Der Gesetzgeber verlangt außerdem, dass der Antragsteller nicht aus anderen Gründen sozialversicherungspflichtig ist. Eine weitere Voraussetzung ist das Auftreten eines Betriebsausfalls des Auftraggebers oder des öffentlichen Auftraggebers, der durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurde (Artikel 15zq Absatz 5 des Gesetzes)
Welche Absicht verfolgte der Gesetzgeber mit der Überbrückungshilfe?
In der Begründung zur Gesetzesnovelle hat der Gesetzgeber die Motive für die Einführung der Überbrückungshilfe in die polnische Rechtsordnung dargelegt (Begründung des Regierungsentwurfs vom 26. März 2020, Parlamentsdruck Nr. 299, S. 44-45). Er wies darauf hin, dass sich die bestehenden Lösungen angesichts der COVID-19-Pandemie als unzureichend erweisen könnten, um vor Zahlungsengpässen und fehlenden finanziellen Mitteln zur Deckung der Grundbedürfnisse des Lebens zu schützen. Es wurde hervorgehoben, dass zu den am meisten gefährdeten Gruppen Personen gehören, die im Rahmen zivilrechtlicher Verträge beschäftigt sind. Diese Personen, so der Gesetzgeber, seien durch die COVID-19-Pandemie besonders gefährdet, aufgrund fehlender Aufträge oder Verträge oder der Kündigung laufender oder abgeschlossener Verträge ein instabiles Einkommen oder sogar einen vollständigen Einkommensverlust zu erleiden.
Ursprünglich konnten nur Dienstleistungsempfänger die Feststellung des Anspruchs auf Überbrückungsleistung für die von ihnen beschäftigten Dienstleistenden beantragen. Erst nach einigen Monaten, infolge der Änderung des Krisenschutzschildes, konnten die Dienstleistenden im Falle einer Ablehnung durch die Dienstleistungsempfänger selbst Anträge stellen (Artikel 15zsa(1) des Gesetzes).
Rückzahlung samt hoher Zinsen
Wird in einer Entscheidung festgestellt, dass eine Überbrückungsleistung zu Unrecht in Anspruch genommen wurde, müssen die Dienstleistenden diese mit den gesetzlichen Verzugszinsen zurückzahlen (Artikel 481 § 1 des polnsichen Zivilgesetzbuches). Es ist zu bemerken, dass die Zinsen nach den zahlreichen Zinserhöhungen, die zwischen Oktober 2021 und September 2022 stattfanden, erheblich gestiegen sind. Im dritten Monat der Pandemie (Mai 2020) lag der NBP-Referenzzinssatz bei 0,1 %, was einem Jahreszins von 5,6 % entsprach. Heute liegen die gesetzlichen Verzugszinsen bei 12,25 %. Da sie ab dem Zeitpunkt der Auszahlung der Überbrückungsleistung berechnet werden, kann der Betrag, zu dessen Erstattung die ZUS-Entscheidung verpflichtet, nach mehreren Jahren den Wert der erhobenen Überbrückungsleistung weit übersteigen.
Belastendes Verfahren
Kontrollen durch die Sozialversicherungsanstalt können zu Verfahren führen, an denen sowohl Dienstleistende als auch Dienstleistungsempfänger beteiligt sind. Um zu prüfen, ob es Gründe für die Annahme gibt, dass eine Leistung zu Unrecht beansprucht wurde und ob sie aufgrund einer bewussten Falschdarstellung des Leistungsempfängers gegenüber der Sozialversicherungsanstalt ausgezahlt wurde, führt diese eine Untersuchung durch. Schon die Einleitung dieses Verfahrens kann als Vorstufe zum Erlass eines Bescheids angesehen werden, der die Rückzahlung einer zu Unrecht bezogenen Leistung auferlegt. In diesem Stadium kann die Sozialversicherungsanstalt vom Dienstleistungsempfänger und vom Dienstleistenden zusätzliche Erklärungen oder die Vorlage von Unterlagen über die Erfüllung des Vertrags verlangen.
Wie bereits erwähnt, darf die Sozialversicherungsanstalt keine Entscheidung erlassen, die die Rückzahlung einer zu Unrecht bezogenen Leistung später als innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt ihrer Zahlung verlangt. Wenn das Verfahren vor Ablauf dieser Frist eingeleitet wurde, aber noch keine Entscheidung in der Sache ergangen ist, ist es einzustellen. Erlässt die Sozialversicherungsanstalt jedoch einen Rückzahlungsbescheid, so kann dieser bis zu drei Jahre nach Eintritt der Rechtskraft wirksam vollstreckt werden. Innerhalb dieses Zeitraums verjähren die Ansprüche auf Rückzahlung der zu Unrecht in Anspruch genommenen Leistung zusammen mit den Zinsen und Verfahrenskosten (Artikel 15zx Abs. 5 des Gesetzes).
Rechtsmittel gegen den Rückzahlungsbescheid
Gegen den Bescheid über die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Leistungen steht dem Antragsteller eine über die Sozialversicherungsanstalt an das Arbeits- und Sozialversicherungsgericht gerichtete Berufung als Rechtsmittel zu. Obwohl sie das weitere Auflaufen der Zinsen nicht unterbricht, lohnt sich die Einreichung einer Berufung als einzige Möglichkeit, die Rückzahlung der erhaltenen Leistungen zu vermeiden. Es ist erwähnenswert, dass Antragsteller, die einen Rechtsbehelf einlegen, in einer privilegierten Position sind – die Einlegung von Rechtmitteln ist kostenlos und das Gerichtsverfahren selbst ist deutlich weniger formalisiert als das Standardverfahren. Neben der Möglichkeit, die Berufung schriftlich einzureichen, kann sie auch mündlich zu Protokoll gegeben werden.
Das Hauptargument, das in der Berufung vorgebracht werden kann, ist, dass keine Absicht oder sogar kein Bewusstsein vorhanden waren, die Behörde zu täuschen. Es ist Sache des Berufungsklägers nachzuweisen, dass er zum Zeitpunkt der Antragstellung vom Vorliegen aller Voraussetzungen für einen Anspruch auf die Leistung überzeugt war.