Gerichtsstreit um zu niedriges Entgelt

Es ist Sache des beklagten Arbeitgebers vor Gericht nachzuweisen, dass die Zahlung eines niedrigeren Entgelts an den Arbeitnehmer nicht das Ergebnis einer unmittelbaren oder mittelbaren Geschlechterdiskriminierung war, so die Richtlinie (EU) 2023/970 zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen.

Leichter Zugang zu Rechtsmitteln

Verstößt ein Arbeitgeber gegen seine Verpflichtungen, den Arbeitnehmern das Recht auf gleiche Entgelt und ein transparentes Entgeltsystem zu garantieren, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Arbeitnehmer und die in ihrem Namen handelnden Personen leichten Zugang zu geeigneten gerichtlichen Verfahren haben, um diese Rechte durchzusetzen. Dies gilt auch für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, in dem die angebliche Diskriminierung stattgefunden hat (Art. 14 der RL(EU) 2023/970, im Folgenden „Richtlinie“ genannt).

Arbeitnehmer und ihre Vertreter dürfen nicht allein deshalb ungünstiger behandelt werden, weil sie ihr Recht auf gleiches Entgelt geltend machen oder eine andere Person dabei unterstützen. Auch kann dies kein Grund für die Beendigung des Arbeitsvertrags dieser Personen sein (Art. 25 der Richtlinie).

Schutz vor ungünstiger Behandlung durch Arbeitgeber

Arbeitnehmer und ihre Vertreter dürfen nicht allein deshalb ungünstiger behandelt werden, weil sie ihr Recht auf gleiches Entgelt geltend machen oder eine andere Person dabei unterstützen. Auch kann dies kein Grund für die Beendigung des Arbeitsvertrags dieser Personen sein (Art. 25 der Richtlinie).

Der Schutz umfasst alle Arbeitnehmer, die Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sein könnten, die der Arbeitgeber als Reaktion auf eine Beschwerde wegen Geschlechterdiskriminierung ergreift (EuGH-Urteil vom 20. Juni 2019, Hakelbracht u. a., C-404/18, ECLI:EU:C:2019:523).

Bei welchen Verstößen können Arbeitnehmer Ansprüche geltend machen?

Der Anwendungsbereich der Arbeitgeberhaftung wird sehr weit gefasst. Geschädigte Arbeitnehmer oder ihre Vertreter können entsprechende Ansprüche beim Arbeitsgericht einklagen, wenn der Arbeitgeber z.B:

  • in der Einstellungsphase Fehler macht, z. B. in der Stellenanzeige kein bestimmtes Entgelt oder keine Entgeltspanne angibt, das Stellenangebot nicht korrekt formuliert oder den Bewerber nach seinem bisherigen Gehalt fragt (Art. 5 der Richtlinie),
  • den Arbeitnehmern keine transparenten Regeln für die Festlegung des Gehalts zur Verfügung stellt oder keine Entgeltentwicklung einführt (Art. 6 der Richtlinie),
  • das Recht der Arbeitnehmer über die Höhe des Entgelts (sowohl individuell als auch im Durchschnitt nach Geschlecht für Arbeitnehmer, die gleiche oder gleichwertige Arbeit leisten) informiert zu werden nicht ausreichend gewährleistet, die Arbeitnehmer nicht über ihre diesbezüglichen Ansprüche informiert oder den Arbeitnehmern die Verpflichtung auferlegt, ihr Entgelt aus einem ungerechtfertigten Grund geheim zu halten (Art. 7 der Richtlinie),
  • den zusätzlichen Informationspflichten gegenüber behinderten Arbeitnehmern nicht nachkommt (Art. 8 der Richtlinie),
  • gar nicht oder zu spät über das geschlechterspezifische Entgeltgefälle berichtet (Art. 9 der Richtlinie),
  • keine gemeinsame Lohnbewertung mit den Arbeitnehmervertretern durchführt (Art. 10 der Richtlinie).

Hohe Sensibilität für Verstöße bei Arbeitnehmern

Laut dem im Juni 2023 vorgelegten Bericht über die Tätigkeit der staatlichen polnischen Arbeitsaufsichtsbehörde (Państwowa Inspekcja Pracy, PIP) wurden im Jahr 2022 genau 87 510 Beschwerden von Arbeitnehmern an die Behörde gerichtet (jedes Jahr werden es mehr), die 40 % der Kontrollen verursachten. Dem Aktionsplan der PIP für 2024 zufolge stehen Arbeitgebern bis zu 60.000 Kontrollen bevor.

Die Aktivitäten der PIP im Bereich der Bekämpfung von Diskriminierungserscheinungen (einschließlich Lohndiskriminierung) umfassen sowohl Kontroll- und Aufsichtstätigkeiten als auch Aktivitäten mit präventivem und informativem Charakter, die sich an ein breites Spektrum von Adressaten richten: Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und andere interessierte Personen. Im Bereich der Ungleichbehandlung in der Beschäftigung werden am häufigsten Vorwürfe erhoben, die die Gestaltung des Arbeitsentgelts, die Beförderung oder die Gewährung anderer arbeitsbezogener Leistungen betreffen.

Umfrageergebnisse

Eine LiveCareer-Studie von 2020 zeigt auch, dass Arbeitnehmer ein großes Bewusstsein für ihre Rechte und die damit verbundenen Pflichten ihres Arbeitgebers haben. Im Verlauf der Umfrage gaben mehr als 38 Prozent der Befragten zu, dass ein Vorgesetzter mindestens einmal gegen Arbeitsrechte verstoßen hat (wobei die tatsächliche Zahl der Verstöße angesichts des unterschiedlichen Kenntnisse der Befragten in Bezug auf das Arbeitsrecht wahrscheinlich viel höher ist).

Die Angestellten der öffentlichen Verwaltung wiesen am häufigsten auf die fehlende Rechtschaffenheit der Arbeitgeber hin, wobei sogar die Hälfte der Befragten in dieser Gruppe diese Frage bejahte. An zweiter Stelle steht die Industrie und das Baugewerbe (41 %) und an dritter Stelle der Handel (38 %). Immerhin 33 % der Befragten gaben an, dass sie sich in einem solchen Fall an ihren Vorgesetzten wenden würden, 25 % würden den Verstoß bei der Polizei oder der Arbeitsaufsichtsbehörde melden, und 15 % würden sich an die Personalabteilung oder höhere Vorgesetzte wenden. Nur 6 % der Befragten gaben an, dass sie nichts unternehmen würden.

Von denjenigen, die bereits mit arbeitsrechtlichen Verstößen gegen konfrontiert waren, hatten 30 % keine Maßnahmen ergriffen. Nur 28 % haben sich entschieden, mit ihrem Vorgesetzten zu sprechen, die meisten von ihnen waren Frauen. 18 % der Befragten hatten deshalb gekündigt – häufiger Männer und Personen mit kürzerer Betriebszugehörigkeit.

In Anbetracht der obigen Ausführungen sollten Unternehmen nicht damit rechnen, dass Versuche von Arbeitgebern, die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie zu umgehen, unbemerkt bleiben.

Welche Verfahrensregeln gelten?

Bei der Umsetzung der Richtlinie in die polnische Rechtsordnung wird der Gesetzgeber höchstwahrscheinlich Streitigkeiten,die sich ungeachtet des Geschlechts ergeben, als arbeitsrechtliche Ansprüche behandeln, auf die die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über Verfahren in Arbeits- und Sozialversicherungssachen Anwendung finden.

In dieser Art von Fällen ist die Position des Arbeitnehmers gegenüber Klägern in anderen Verfahren privilegiert. Ein Arbeitnehmer, der ohne einen zugelassenen Vertreter (Rechtsanwalt) handelt, kann eine Klage beim zuständigen Gericht nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich zu Protokoll geben. Dies gilt auch für Berufungen und andere Verfahrenshandlungen (Art. 466 der polnischen Zivilprozessordnung, ZPO).

Der Arbeitnehmer wird nur dann vorgeladen, um die Mängel der Klage zu beheben, wenn sie die Durchführung einer vorgerichtlichen Verhandlung mit seiner Beteiligung unmöglich machen, und nicht – wie in einem normalen Verfahren – in jedem Fall (Art. 467 § 31 ZPO).

Eine weitere Erleichterung besteht darin, dass das Gericht die Möglichkeit hat, den Hilfsantrag des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn sich der zweite Antrag als unbegründet erweist (Artikel 4771 ZPO).

Darüber hinaus hat das Gericht den Arbeitnehmer während des gesamten Verfahrens über die Ansprüche zu belehren, die sich aus den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Tatsachen ergeben (Art. 477 ZPO). Der Umfang der Belehrung ist größer, wenn der Arbeitnehmer selbständig handelt. Örtlich zuständig für diese Fälle ist das für den Beklagten allgemein zuständige Gericht (aufgrund seines Wohnsitzes oder Sitzes) oder das Gericht, in dessen Bezirk die Arbeit ausgeführt wird, wurde oder werden sollte (Artikel 461 Abs.1 der ZPO).

Sachliche Zuständigkeit von Gerichten und Streitwert

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Wert des Streitgegenstandes. Liegt dieser über 100.000 PLN, muss die Sache an das Bezirksgericht verwiesen werden. Andernfalls ist der Fall vor dem Amtsgericht zu verhandeln (Art. 16 § 1 in Verbindung mit Art. 17 Abs.1 Nr. 4 der ZPO).

Der Wert des Streitgegenstandes hängt von der Art der Forderung ab. Verlangt ein Arbeitnehmer beispielsweise einen Ausgleich bis zur Höhe der Vergütung, die ein anderer Arbeitnehmer für die gleiche Tätigkeit erhält, so wird der Wert des Streitgegenstandes gemäß Art. 22 der ZPO berechnet. Das bedeutet, dass der Wert des Streitgegenstandes bei einer solchen Diskriminierung, die länger als ein Jahr andauert, der Summe der Differenz der Leistungen für ein Jahr entspricht. Dauert die Ungleichbehandlung hingegen kürzer an, so ist die Summe der Differenz dieser Leistungen für den gesamten Zeitraum zu berechnen.

Die Höhe des Anspruchs hängt von den Umständen des konkreten Falles ab, wobei die Höhe des Vermögensschadens (für die Geltendmachung von Schadensersatz) viel leichter zu schätzen ist als der Umfang des immateriellen Schadens und die dafür geforderte Entschädigung.

Wen trifft die Beweislast?

Artikel 18 der Richtlinie sieht eine sogenannte Beweislastumkehr vor. Nach dieser obliegt es dem Beklagten (dem Arbeitgeber) zu beweisen, dass keine unmittelbare oder mittelbare Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts am Arbeitsplatz stattgefunden hat. Arbeitnehmer sind lediglich verpflichtet, Tatsachen vorzubringen, die diese Umstände vermuten lassen (und nicht beweisen).

Der Arbeitgeber wird von der Beweislast befreit, wenn er nachweisen kann, dass die Verletzung seiner Pflichten eindeutig unbeabsichtigt und geringfügig war.

Wie hoch sind die Gerichtskosten?

Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine Gerichtskostenbefreiung vorzusehen. Dies sollte insbesondere dann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber zwar den Prozess gewinnt, aber den in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen nicht nachkommt.

Wenn das Gericht in einem bestimmten Fall keine besonderen Umstände feststellt, die eine Befreiung des Arbeitnehmers von den Gerichtskosten rechtfertigen, wird er oder sie höchstwahrscheinlich verpflichtet sein, die Kosten nach allgemeinen Grundsätzen zu tragen. Dies ist jedoch angesichts der jüngsten Änderungen durch die Novelle des Gesetzes über Gerichtskosten in Zivilsachen (Gesetz vom 7. Juli 2023 zur Änderung des Gesetzes – Zivilprozessordnung, des Gesetzes – Gesetz über das System der ordentlichen Gerichte, des Gesetzes – Strafprozessordnung und einiger anderer Gesetze), die eine Befreiung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Zahlung von Gerichtskosten für Klagen in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten unabhängig vom Wert des Streitgegenstandes vorsieht, von untergeordneter Bedeutung. Arbeitnehmer müssen nur eine Berufungsgebühr zahlen, und zwar für den Betrag, der 50.000 PLN des Wertes des Streitgegenstandes übersteigt (5 % der sog. relativen Gebühr, poln. Oplata stosunkowa).

In den meisten Fällen hat der Arbeitnehmer also ohnehin keine Kosten zu tragen.

Verjährung von Ansprüchen

Der EU-Gesetzgeber hat eine Mindestverjährungsfrist von drei Jahren für die Geltendmachung von Ansprüchen festgelegt, wobei die nationalen Gesetzgeber beschließen können, diese Frist zu verlängern.

Bezüglich der polnischen Rechtsordnung ist davon auszugehen, dass die allgemeinen Verjährungsvorschriften für Klagen wegen Verletzung des Rechts auf gleiche Vergütung für Männer und Frauen Anwendung finden werden.

In diesem Fall würden Ansprüche wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie innerhalb von drei Jahren ab dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit verjähren, und die Parteien des Arbeitsverhältnisses könnten diese Frist nicht durch eine Klage ändern (verkürzen oder verlängern) (Art. 291 § 1 und § 4 des polnischen Arbeitsgesetzbuches).

Richtlinie EU 2023-970 L_2023132DE.01002101.xml (europa.eu)

Mehr zum Thema Arbeitsrecht finden Sie unter: Arbeitsrecht – Nearshoring (nearshoringpoland.eu)