Wie eine Vergaberechtsänderung dem Missbrauch von Erfüllungsgarantien entgegenwirken soll
Am 3. Februar 2025 wurde ein Entwurf zur Änderung des Vergabegesetzes („Entwurf“) auf der Website des polnischen Parlaments veröffentlicht. Im Wesentlichen betrifft der Entwurf vier Punkte. Der erste enthält eine Änderung von Art. 16 des polnischen Vergabegesetzes („VergG“), die laut Begründung darauf abzielt, „die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung auf Auftragnehmer aus EU-Mitgliedstaaten und Staaten, die mit der EU ein Abkommen über den Zugang zum EU-Markt für öffentliche Aufträge geschlossen haben, zu beschränken“. Der zweite Punkt beinhaltet eine Erweiterung des Katalogs der Gründe, die einen Ausschluss von Ausschreibungen rechtfertigen (Art. 109 VergG). Der dritte Punkt betrifft die Valorisierung der Vergütung der Auftragnehmer (Art. 433 und Art. 439 VergG). Der letzte Punkt stellt einen Versuch dar, Situationen, in denen öffentliche Auftraggeber Erfüllungsgarantien missbrauchen, gesetzlich zu begrenzen (Art. 450 VergG). Obwohl jeder dieser Punkte für die Praxis relevant ist, konzentriere ich mich in diesem Beitrag auf den letzten Punkt.
„Die Bestimmungen sollten Mechanismen enthalten, die das Potenzial für einen Missbrauch der Garantierechte verringern.“
Dem Entwurf zufolge soll Art. 450 VergG, der die Form der Erfüllungsgarantie regelt, die Absätze 6-10 hinzugefügt werden. Absicht der Verfasser des Entwurfs ist es, den Missbrauch von Garantien zu verhindern. Die Verwendung von Garantien auf erstes Anfordern soll eingeschränkt und in der Praxis Situationen ausgeschlossen werden, in denen eine Forderung des Garantieempfängers zu einem Zweckmissbrauch solcher Garantien führt und diese der Erlangung unrechtmäßiger Vorteile dienen. Die Autoren erwarten auch, dass die Änderungen das Risiko des […] Drucks auf die Auftragnehmer verringern, ihre Liquidität verbessern und die Sicherheit wirtschaftlicher Transaktionen erhöhen werden.
In Anbetracht dieses Zwecks des Entwurfs und seines derzeitigen Inhalts gibt es meines Erachtens mehrere Unzulänglichkeiten. In der nachstehenden Tabelle beziehe ich mich gesondert auf jeden der Entwurfsabsätze 6-10.
Inhalt | Begründung | |
Abs. 6 | Wurde die Sicherheit in Form einer Bank- oder Versicherungsgarantie geleistet, so kann der öffentliche Auftraggeber nicht verlangen, dass der Betrag der Garantie höher ist als der Wert der Forderung, die mit diesem Betrag befriedigt werden soll. | „Es sollte selbstverständlich sein, dass eine loyale Gegenpartei keine Garantiezahlung verlangen kann, die höher ist als die Forderung. In Anbetracht der Tatsache, dass solche Fälle in der Praxis vorkommen, ist es jedoch ratsam, eine solche Bestimmung einzuführen. |
Aus dem Wortlaut von Abs. 6 und der Begründung des Entwurfs geht nicht hervor, ob, wie und anhand welcher Informationen/Unterlagen geprüft wird, ob der Auftraggeber die Zahlung eines den Wert seiner Forderung übersteigenden Garantiebetrags verlangt.
Es sollte daher davon ausgegangen werden, dass Abs. 6 keine solche Verpflichtung beinhaltet. Insbesondere wird dem Auftraggeber nicht die Verpflichtung auferlegt, die Höhe seiner Forderung zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie nachzuweisen, und die Bank/Versicherung sollte dies nicht als Voraussetzung für die Auszahlung von Mitteln aus der Garantie betrachten (nach der Begründung des Entwurfs „entzieht diese Lösung [die Einführung der Absätze 6-10] der Garantie [abstrakt und auf erstes Anfordern zahlbar] nicht ihre Eigenschaften“).
Es scheint, dass im Falle eines Verstoßes gegen Abs. 6 durch den öffentlichen Auftraggeber Rechtsgrundlage für den Anspruch des Auftragnehmers auf Rückzahlung der Garantiemittel (neben Art. 405 poln. Zivilgesetzbuch („ZGB“), ZGB ff. und 471 ZGB) auch Artikel 415 ZGB sein kann – wenn sich herausstellt, dass der öffentliche Auftraggeber entgegen dem gesetzlichen Verbot eine Zahlung aus der Garantie über den Betrag seiner Forderung hinaus verlangt hat.
Inhalt | Begründung | |
Abs. 7 | In dem in Abs. 1 genannten Fall übermittelt der öffentliche Auftraggeber, wenn er die Zahlung des Garantiebetrags verlangt, dem Auftragnehmer gleichzeitig eine Kopie der Zahlungsaufforderung und der Bank oder der Versicherung einen Nachweis über die Übermittlung einer Antragskopie. Der Auftragnehmer kann gegenüber der Bank oder der Versicherung zur Rechtmäßigkeit des Antrags auf Auszahlung des Garantiebetrags Stellung nehmen und insbesondere ankündigen, dass er innerhalb von 7 Tagen einen Antrag auf Sicherheitsleistung durch Einbehaltung der Auszahlung des Garantiebetrags stellt. | „In der Praxis wird auf dem Vergabemarkt überwiegend verlangt, dass Garantien unwiderruflich, unbedingt und auf erstes Anfordern zahlbar sind. Solche Garantien […] bergen die größte Gefahr des Missbrauchs zu Lasten der Auftragnehmer. Es ist daher ratsam, dieses Risiko zu begrenzen, indem dem Auftragnehmer die Möglichkeit gegeben wird, gegenüber der Bank oder der Versicherung seinen Standpunkt zur Rechtmäßigkeit der Forderung nach Zahlung der Garantiebeträge darzulegen. […] Daher sieht der vorgeschlagene Art. 455 Abs. 7 bis 10 ein einfaches Verfahren vor, mit dem der öffentliche Auftraggeber den Auftragnehmer von seiner Absicht unterrichtet, die Sicherheit in Anspruch zu nehmen“. |
Abs. 7 sieht keine Sanktionen für den Fall vor, dass der öffentliche Auftraggeber es versäumt, dem Auftragnehmer eine Kopie der Aufforderung zur Zahlung des Garantiebetrags zu „übermitteln“. Er verpflichtet auch nicht die Bank/Versicherung, dem Auftragnehmer eine Kopie der Zahlungsaufforderung vorzulegen, wenn der Auftraggeber dies unterlässt. Eine solche Lösung scheint mit dem von den Verfassern des Entwurfs verfolgten Ziel unvereinbar zu sein, da die Möglichkeit für den Auftragnehmer, seinen Standpunkt darzulegen, „das Risiko eines Missbrauchs durch den Begünstigten erheblich verringern“ soll.
In Anbetracht des derzeitigen Wortlauts von Abs. 7 kann es in der Praxis vorkommen, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Kopie der Aufforderung zur Auszahlung der Garantiesumme beim Auftragnehmer eingeht, die Frist für die Auszahlung der Garantiesumme durch die Bank/Versicherung bereits abgelaufen ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die in der Garantie angegebene Zahlungsfrist relativ kurz ist, z. B. 7 Tage. Eine bessere Lösung scheint darin zu bestehen, den Auftraggeber zu verpflichten, dem Garanten eine Kopie der Forderung des Auftragnehmers als Zustellungsnachweis zu übermitteln (und nicht zu versenden).
Es hat den Anschein, dass, wie im Fall von Abs. 6, der fehlenden Zahlungsaufforderung des Auftraggebers an den Auftragnehmer Rechtsgrundlage für den Anspruch des Auftragnehmers gegen den Auftraggeber auf Rückzahlung der Garantiemittel (neben 405 ff. und 471 ZGB) Art. 415 ZGB sein kann. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Banken/Versicherungen in der Praxis vor der Auszahlung der Garantiegelder den Auftragnehmern häufig die Möglichkeit geben, schriftlich zur Rechtmäßigkeit des Antrags des Auftraggebers Stellung zu nehmen. In gewisser Weise bringt Abs. 6 daher lediglich Ordnung in die diesbezügliche Praxis.
Obwohl aus dem Entwurf und seiner Begründung nicht hervorgeht, dass dies der Fall ist, scheint die Antwort des Auftragnehmers auf den Antrag auf Auszahlung der Garantiesumme der geeignete Ort zu sein, um die Bank/Versicherung darüber zu informieren, dass die Forderung des Auftraggebers seine Forderung übersteigt (vgl. Abs. 6).
Inhalt | |
Abs. 8 | Hat der Auftragnehmer der Bank oder der Versicherung innerhalb der in Abs. 7 genannten Frist eine Kopie des bei Gericht eingereichten Antrags auf Sicherheitsleistung übermittelt, so zahlt die Bank/Versicherung den Sicherheitsbetrag erst an dem Tag aus, an dem die Sicherheit gemäß Art. 744 § 1 oder § 2 oder Art. 754 § 1 der Zivilprozessordnung erlischt. |
Die Frist für die „Einreichung“ des Antrags auf Sicherheitsleistung wurde nicht mit der Frist in Abs. 7 des Entwurfs korreliert. In der Praxis kann es vorkommen, dass der Auftragnehmer den Sicherheitsantrag einen Tag vor Ablauf der Frist für die Auszahlung der Garantiemittel ankündigt. In einem solchen Fall muss die Bank oder die Versicherung (oft trotz des Inhalts der Garantie) die Auszahlung der Mittel bis zum „Tag des Erlöschender Sicherheit gemäß Art. 744 § 1 oder § 2 oder Art. 754 § 1 der Zivilprozessordnung“ zurückhalten. Eine solche Lösung steht auch nicht im Einklang mit dem Zweck des Entwurfs (nach der Begründung des Entwurfs „entledigt diese Lösung [Einführung der Absätze 6-10] die Garantie [abstrakt und auf erstes Anfordern zahlbar] nicht ihrer Eigenschaften“).
Auch wenn es sich nicht unmittelbar aus dem Entwurf oder seiner Begründung ergibt, sollte davon ausgegangen werden, dass die Bank/Versicherung im Falle einer wirksamen Ablehnung des Antrags Sicherheitsleistung (sofern nicht andere Erwägungen, z.B. aus dem Inhalt der Garantie, entgegenstehen) die Garantiemittel an den Auftraggeber auszahlen sollte. Tatsächlich bezieht sich Abs. 8 nur auf die Notwendigkeit, die Zahlung zurückzuhalten, bis die Sicherheiten erloschen sind, d. h. auf eine Situation, in der die Sicherheiten gewährt wurden und dann aus bestimmten Gründen erloschen sind.
Inhalt | |
Abs. 9 | Zieht der Auftragnehmer den Antrag auf Sicherheitsleistung zurück oder ordnet das Gericht die Zahlung des Garantiebetrages an, so ist der Auftragnehmer verpflichtet, der Bank oder der Versicherung die Zinsen für die Zeit von der Fälligkeit des Garantiebetrages bis zum Zeitpunkt seiner Zahlung zu erstatten. |
In der Begründung des Projekts heißt es, die Einführung von Abs. 9 solle „die Interessen des Auftraggebers (des Begünstigten der Garantie), des Auftragnehmers (Auftraggeber der Garantie) und des Garantiegebers selbst ausgleichen“. In dieser Regelung scheint jedoch der Garant privilegiert zu sein, der, wenn der Auftragnehmer seine Rechte aus den Absätzen 7-8 wahrnimmt, praktisch kein Zinsrisiko trägt und (für einen bestimmten Zeitraum) von der Verpflichtung zur Auszahlung der Garantiemittel befreit ist.
In der Praxis kann es bei der Auslegung von Abs. 9 ähnliche Probleme geben wie bei Art. 649 § 3 ZGB (hinsichtlich der Umstände, unter denen er angewendet werden kann). Gegenwärtig kann er unter anderem so ausgelegt werden, dass der Auftragnehmer „im Falle […] einer gerichtlichen Anordnung zur Zahlung des Garantiebetrags“ – unabhängig davon, aus welchem Grund die Bank/Versicherung zuvor die Zahlung verweigert hat – verpflichtet ist, der Bank/Versicherung in jedem Fall Zinsen „für die Zeit von der Fälligkeit des Garantiebetrags bis zum Zeitpunkt seiner Zahlung“ zu zahlen.
Inhalt | |
Abs. 10 | Bestimmungen in einem Garantie- oder Versicherungsvertrag, die die Anwendung der Abs. 6 bis 9 verhindern oder erschweren, sind nichtig. |
Nach der Entwurfsbegründung ist davon auszugehen, dass die bloße Zahlung auf erstes Anfordern und der abstrakte Charakter der Garantie (der sich aus dem Inhalt der Garantie ergibt) die Anwendung der Abs. 6-9 nicht verhindern oder behindern, d.h. wirksam sind. Dies ist eine Art Äquivalent zu Art. 647 § 6 ZGB.
Zusammenfassung
Obwohl der Entwurf zumindest einige Unzulänglichkeiten aufweist, verdient die Idee der Veränderung an sich Lob. Leider ist zu berücksichtigen, dass:
- bei abstrakten und auf erstes Anfordern zahlbaren Garantien nur offensichtliche (eindeutige) Fälle als Rechtsmissbrauch angesehen werden, die eine Zahlungsverweigerung rechtfertigen könnten
- Statistisch gesehen die Chancen des Auftragnehmers, eine Sicherheit für die Zahlung von Geldern aus einer abstrakten und auf erstes Anfordern zahlbaren Garantie zu erhalten, gering sind
- dieser Mechanismus in der Praxis möglicherweise nicht so wichtig ist, wie es die Verfasser des Projekts gerne hätten.